Es ist in der Nachrichtenlage der vergangenen Woche fast untergegangen, dass in Rumänien ein neues Parlament und ein neuer Senat gewählt wurden.

Wahlen in Rumänien

»Unabhängiger Finanzexperte« Ministerpräsident?

 

Es ist in der Nachrichtenlage der vergangenen Woche fast untergegangen, dass in Rumänien ein neues Parlament und ein neuer Senat gewählt wurden. Nach Bestrebungen, die Wahlen wegen der Corona-Pandemie auf das Frühjahr 2021 zu verschieben, wurde die Wahl am 6. Dezember 2020 durchgeführt. Sowohl die Abgeordnetenkammer (Camera Deputatilor) als auch der Senat (Senatul) wurden für vier Jahre mit einem gemischten Personen- und Verhältniswahlrecht neu gewählt.

Im Unterschied zur Bundesrepublik Deutschland gibt es in Rumänien ein aktives Registrierungssystem. Rumänische Staatsbürger:innen konnten sich ab dem 1. April über einen Zeitraum von fünfzehn Tagen registrieren lassen. Insgesamt haben 18.976.146 Wahlberechtigte davon Gebrauch gemacht, um im Wahllokal oder per Brief zu wählen. Die Abgeordnetenkammer hat 330 Sitze, der Senat hat 136 Mandate. Von den Abgeordnetenmandaten werden vier, von den Senatsmandaten werden zwei durch die im Ausland Wahlberechtigten vergeben, die Stimmen fließen also nicht über die allgemeinen Wahlkreise mit ein.

Die vergangene Wahlperiode 2016 bis 2020 war zentral von den Turbulenzen um den Präsidenten der Abgeordnetenkammer und Vorsitzenden der Partidul Social Democrat (PSD) Liviu Dragnea geprägt. Nicht zuletzt deswegen hat die vergangene Wahlperiode in den vier Jahren insgesamt fünf Kabinette gesehen, die jeweils durch Koalitionsbrüche und -wechsel zustande kamen.

Dragnea wurde unter anderem vorgeworfen, eine »kriminelle Gruppe« gegründet zu haben, die das Ziel verfolgte, EU-Mittel in großem Umfang illegal zu erhalten. Nach der Eröffnung der Untersuchung gegen ihn hat er ein Gesetz eingebracht, mit dem Korruption in Rumänien erleichtert werden sollte. Das war der berühmte Tropfen, durch den das Fass übergelaufen ist. Dragnea wurde im Mai 2019 wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Die europäische Sozialdemokratie hat die PSD von ihrer Mitgliedschaft 2019 suspendiert. So war eine der Fragen in der anstehenden Wahl, wie sich diese Ereignisse auf das Ergebnis der PSD auswirken würden?

Ein zweites Momentum der Wahl bestand in der Neugründung einer Rechtsaußen-Partei, die u.a. den Anschluss der Republik Moldau an Rumänien fordert. Der zentrale konservativ-paternalistische Parteislogan der Alienta pentru Unirea Romanilor – Allianz zur Vereinigung der Rumänen (AUR) – lautet: Heimat, Familie, Glauben und Freiheit. Die AUR wurde am 1. Dezember 2019 gegründet, dem nationalen Feiertag für Großrumänien, dem Königreich in der Zeit von 1919 bis 1940. Im Gefolge des I. Weltkriegs und der Auflösung von Österreich-Ungarn kam es zu einer Neuaufteilung, bei der Rumänien Teile von Österreich, Ungarn, Russland und Bulgarien erhielt. Diese Änderungen wurden im Versailler Vertrag, den Verträgen von Trianon und Sevres bestätigt. Durch die Neuordnung Osteuropas im Gefolge des Hitler-Stalin-Paktes von 1939 verlor Rumänien einen Großteil dieser Territorien wieder. Aus diesen Verlusten leitet die AUR ihre Forderung nach Angliederung der Republik Moldau ab.

Als Ergebnis der Wahlen zur Abgeordnetenkammer am 6. Dezember verlor die ungarische Sozialdemokratie 16,6%, bleibt aber für Beobachter:innen der Wahl überraschend mit 28,9% die stärkste Kraft im Parlament und erhält 110 Mandate, ein Minus von 44 Mandaten. Zweitstärkste Fraktion wird die Partidul National Liberal (PNL) mit einem Zugewinn von 5,2% auf nun 25,2% und 93 Mandate. Ministerpräsident Ludovic Orban ist wegen des schlechten Abschneidens der PNL vom Regierungsvorsitz zurückgetreten, will aber als Parteivorsitzender an Koalitionsverhandlungen teilnehmen. Der bisherige Verteidigungsminister Nicolae Ciuca hat die Regierungsgeschäfte übernommen. Die Uniunea Salvati Romania (USR), eine eher konservative Mittenpartei, deren Hauptziel der Kampf gegen die Korruption ist, gewann 6,5% und kommt nun auf 15,4% und 55 Mandate. Angesichts des eigenen Wahlziels von 20% wird das Ergebnis aber als Niederlage eingestuft.

Als negative Überraschung der Wahl kam die AUR nach einer teils stark ungarnfeindlichen und nationalistischen Wahlkampagne, in der auch gegen die Mund-Nasenschutz-Pflicht als Mittel gegen die Ausbreitung des Corona-Virus demonstriert wurde, aus dem Stand auf 9,1% und 33 Mandate. Bei der Kommunalwahl Ende September (Wahlbeteiligung 46%) waren sie noch ohne Fortune. Sie ist damit die viertstärkste Fraktion im rumänischen Parlament. Das Ergebnis für die AUR wird auf die Wahl durch den geschassten Dragnea und seine Fans zurückgeführt, aber auch auf die schwache Wahlbeteiligung von 32%. Die demokratische Union der Ungarn in Rumänien, der Ungarnverband UDMR, verlor 0,5% und kommt noch auf 5,7% und 21 Mandate. Die verschiedenen nationalen Minderheiten können die 5%-Hürde umgehen und kommen zusammengerechnet auf 18 Mandate (+1).

Die PSD hat den Wahlsieg und den Auftrag zur Regierungsbildung für sich beansprucht, doch die anderen im Parlament vertretenen Parteien haben diese Offerte zurückgewiesen. Sie wollen nicht mit der ungarischen Sozialdemokratie koalieren. Da keine Partei alleine regieren kann, liegt der Ball nun beim rumänischen Staatspräsident Klaus Iohannis, der einen Regierungsbildungsauftrag an eine konkrete Person erteilen muss. Es wird damit gerechnet, dass der Auftrag an die PNL geht (93 Mandate), die rechnerisch mit den 55 Mandaten der USR und den 21 Sitzen des Ungarnverbandes auf 169 Stimmen Mehrheit kommen kann. Die PNL hat überraschend den amtierenden Finanzminister Florin Citu als neuen Ministerpräsidenten vorgeschlagen, er hat als »unabhängiger Experte« für Finanzfirmen wie J.P. Morgan und Goldmann-Sachs gearbeitet.