Am Valentinstag wurde im Kosovo ein neues Parlament gewählt, seit der Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar 2008 war es die fünfte Wahl.
Vorgezogene Neuwahlen im Kosovo
Kriegsverbrecher und Granatenwerfer
Am Valentinstag wurde im Kosovo ein neues Parlament gewählt, seit der Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar 2008 war es die fünfte Wahl. Es ist nicht unüblich, dass neu gegründete Staaten demokratische Institutionen und Regeln erst einüben müssen. Es ist auch nicht unüblich, dass neu gegründete Staaten ihre Gesellschaft und Wirtschaft neu aufbauen müssen. Mit dem Versprechen von Thessaloniki hat der Kosovo langfristig eine EU-Beitrittsperspektive, obwohl ihn derzeit noch 5 von 27 Mitgliedsstaaten wegen ungelöster Territorialkonflikte vor allem mit Serbien nicht anerkennen (Griechenland, Slowakei, Spanien, Zypern und Rumänien). Aber der Namensstreit um Mazedonien wurde ja auch nach 30 Jahren gelöst.
Die erste Wahl nach der Unabhängigkeitserklärung begann am 12. Dezember 2010 und endete nach diversen Wiederholungen und Neuauszählungen am 16. Januar 2011. Auch sie war eine vorgezogene Wahl, nachdem der Staatspräsident in Folge eines Verfassungsgerichtsurteils zurückgetreten war. Ein Präsident darf nicht zugleich Parteivorsitzender sein. Über den Streit der Neubesetzung ist die Regierung unter dem damaligen Ministerpräsident Hashim Thaci gebrochen, der es 2016 in das Präsidentenamt geschafft hat.
Thaci macht seit der Auflösung Jugoslawiens am Beginn der 1990er Jahre von sich reden. Er war Mitbegründer und Kommandeur der paramilitärischen kosovarischen Unabhängigkeitsbewegung Ushtria Clirimtare e Kosovës (UCK), die seit 1994 die Sezession des Kosovo von Serbien waffenführend vorangetrieben hat. Krieg ist ein dreckiges Geschäft und die Finanzmodelle der UCK beruhten nicht nur auf Auslandszuwendungen durch interessierte Kräfte. Im Krieg gegen Serbien unter Slobodan Milosevic 1999 wurde die UCK Verbündete der NATO, Uniformen und Waffen wurden u.a. aus Deutschland, teils als Caritas-Hilfslieferungen getarnt, geliefert.
Offiziell wurde die UCK im September 1999 aufgelöst, faktisch jedoch in Nachfolgeorganisationen überführt. Thaci war einer der Verhandlungsführer in Rambouillet und stieg im Dezember in den von UNMIK (United Nation Mission in Kosovo) eingerichteten provisorischen Verwaltungsrat auf. Aus den Wahlen 2007 ging seine Partei Partia Demokratike e Kosovës (PDK) als stärkste Kraft hervor. Thaci wurde am 9. Januar 2008 zum Ministerpräsident gewählt, am 17. Februar wurde die Unabhängigkeitserklärung von Serbien verkündet.
In der gesamten Zeit sind Gerüchte und Vorwürfe über Thacis persönliche Beteiligung an Kriegsverbrechen wie Folter, Erschießungen, Drogenhandel, gezielte Organentnahme und Organhandel, sexualiserte Gewalt und dergleichen mehr nie verstummt. Eine systematische Untersuchung dieser Vorwürfe hat der Schweizer Dick Marty, Mitglied des Europarats und Mitglied der OSZE-Kommission für Menschenrechte, durchgeführt und 2011 vorgelegt. Am 24. Juni 2020 wurde durch den Sonderankläger des 2014 eingerichteten Kosovo-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag Anklage gegen Thaci wegen Kriegsverbrechen, Beteiligung an mehr als 100 Morden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben. Thaci trat nach der Zulassung der Klage am 5. November 2020 vom Präsidentenamt zurück und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.
Doch nun zurück zu den vorgezogenen Wahlen vom Februar 2021. Aus diesen ging die Lëvitzja Vetëvendosje! (LVV), auf Deutsch: „Bewegung Selbstbestimmung“, unter Leitung von Albin Kurti wie schon 2019 als stärkste Kraft hervor. Die LVV gilt als links, ist aber auch ultranationalistisch. Kurti wurde nach vier Monaten Verhandlungsdauer über eine Koalition mit der zweitstärksten Fraktion, Lidhja Demokratike e Kosovës (LDK), zum Ministerpräsidenten gewählt. Kurz darauf folgte ein koalitionsinterner Streit über die Aufhebung von Zöllen gegen Serbien und Bosnien-Herzegowina, dem die unangekündigte Entlassung des LDK-Innenminister durch Kurti folgte.
Kurti stürzte nach 52 Tagen im März 2020 über einen erfolgreichen Misstrauensantrag durch den Koalitionspartner LDK, der wiederum im Juni 2020 eine neue Regierung bildete. Neuer Ministerpräsident wurde Avdullah Hoti von der LDK mit 61 zu 59 Stimmen. Kurti aber wies nach seinem Sturz darauf hin, dass es nur vordergründig um Zölle gegangen sei. In Wahrheit hätte Thaci in Zusammenarbeit mit dem im Oktober 2019 von Donald Trump eingesetzten US-Gesandten für Kosovo und Serbien, Richard Grenell, an einem Strang gezogen, um ihn zu stürzen. Das Ziel sei es gewesen, einen Deal zwischen Serbiens Präsidenten Alexander Vucic und Hashim Thaci zu vereinbaren, in dem es um einen Tausch von zwei Provinzen im Norden des Kosovo und Süden von Serbien nach Kriterien ethnischer Besiedlung geht.
Grenell, seit Mai 2018 auch umstrittener US-Botschafter in Berlin, wollte mit dem Sturz von Kurti und einem Government-Change im Kosovo einen außenpolitischen Erfolg für Trump einfahren. Grenell traf dafür sogar mit Thaci, Vucic und Jared Kushner, Schwiegersohn von Donald Trump, im Weißen Haus zu Gesprächen zusammen. Die USA drohten mit dem Abzug von Militär und hielten Hilfszahlungen in Höhe von 50 Millionen Dollar zurück. Die EU hat diesem politischen Manöver widersprochen, sie will – wie Kurti – keinem Gebietstausch nach ethnischen Kriterien zustimmen, um das Konfliktfeld Balkan nicht wieder zu öffnen. Auch dies hat zur Spannung zwischen der Bundesregierung und der Trump-Administration beigetragen.
Jedoch war eine Stimme für Avdullah Hoti bei der Juni-Wahl von der LDK laut Verfassungsgerichtsurteil vom 21. Dezember 2020 ungültig, weil der Abgeordnete Etem Arafi aus der Ashkali-Partei rechtskräftig verurteilt und für drei Jahre gesperrt war. Der Kosovo stand erneut ohne Regierung da und so wurde die 40-Tage-Frist zur Neuwahl des Parlaments aktiviert, der Wahltag auf den 14. Februar gelegt. Da war Trump bereits abgewählt, Grenell nicht mehr als US-Botschafter im Amt und Thaci sitzt in Den Haag ein.
In dieser Lage konnte die LVV mit Albin Kurti ihren Stimmanteil auf 47,85% und 56 von 120 Sitzen verdoppeln. Dies nicht zuletzt, weil sie sich gegen Korruption, für einen wirtschaftlichen Aufschwung und für einen konsequenten politischen Neuanfang ausgesprochen hat. Aber nun ist die Frage, ob Kurti selber Premierminister werden kann, weil auch er rechtskräftig verurteilt ist und drei Jahre lang nicht zur Wahl antreten darf.
Er hatte als Mitglied der Oppositionsfraktion LVV 2015 über vier Monate Sitzungen des Parlaments blockiert, unter anderem durch den Einsatz von Tränengasgranaten. Anlass war die anstehende Ratifizierung eines Grenzabkommens der damaligen Regierung mit Montenegro, die EU hatte die Ratifizierung zur Vorbedingung der Einführung von Visa-Freiheit für Reisen aus dem Kosovo in die EU gemacht. Die LVV fand damals eine dementsprechende Darstellung in der Berichterstattung. Die Verurteilung für die Granatenwürfe wurde erst 2018 gesprochen, Kurti wurde vom Wahlleiter von der Liste der LVV gestrichen und hat kein Parlamentsmandat. Unklar ist, ob ein Mandatsloser zur Wahl für das Amt des Ministerpräsidenten antreten darf.
Kommentieren