Der neue Artikel von Thomas Nord behandelt aus gegebenem Anlass das Deutsch-Französische Parlamentsabkommen.

Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung

Streit in der Union

Am Mittwoch wurde im Bundestag über die Einrichtung einer deutsch-französischen Parlamentarischen Versammlung (DFPV) debattiert und abgestimmt. Sie soll aus insgesamt 100 Mitgliedern bestehen, jedes Land entsendet 50 Mitglieder aus der Mitte des Parlaments, wobei die Fraktionsstärken berücksichtigt werden. DIE LINKE hat fünf Mitglieder und fünf Stellvertreter*innen benannt.

Die Unterzeichnung des Parlamentsabkommens war ursprünglich für den 22. Januar 2019 angesetzt, der Tag, an dem 1963 der Elysée-Vertrag unterschrieben wurde. Doch kurzfristig hatten der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und die Bundeskanzlerin sich darauf geeinigt, den gerade noch rechtzeitig fertig ausgehandelten Folgevertrag, der nun Aachener-Vertrag heißt, in Kraft zu setzen. Daraufhin ist die Abstimmung über das Parlamentsabkommen in Paris und Berlin abgesetzt und vertagt worden.

Paris stimmt ab, Berlin streitet

In der französischen Assemblée Nationale wurde am 11. März über das Parlamentsabkommen debattiert und abgestimmt. Mehrheitlich wurde das Abkommen durch En Marche und den Republikanern bestätigt, La France Insoumise hat den Antrag abgelehnt, die Group Démocrat et Républicaine hat sich enthalten. Deren Vorsitzender, André Chassaigne hat in seiner Rede deutlich gemacht, dass die Franzosen zu einem Zeitpunkt über einen Text abstimmen, an dem sie nicht wissen, wie die Geschäftsordnung der Parlamentsversammlung aussieht. Denn der Abstimmung in Berlin ging ein langes Gezerre in der Unionsfraktion voraus, das bis Paris zu hören war.

Alleine die zeitliche Länge des Streits hat dazu geführt, dass die bereits ausgesprochene Einladung an die Mitglieder der Assemblée für den 14. März in den Bundestag durch den Bundestagspräsidenten zurückgezogen werden musste. Es kam nicht wie angekündigt zur Abstimmung des Parlamentsabkommens, denn die Union hat über eine Frage der Geschäftsordnung gestritten. Darüber, ob die Parlamentarische Versammlung mit einer einfachen Mehrheit von allen Mitgliedern oder einer doppelten Mehrheit getrennt nach nationaler Zugehörigkeit zu Deutschland oder Frankreich abgestimmt wird.

Einfache oder doppelte Mehrheit

In dem nun vorgelegten Antrag von CDU/CSU und SPD hat der Vorschlag der doppelten Mehrheit Eingang gefunden. Hier hätte eine echte Chance für eine deutsch-französische Parlamentskultur entstehen können. Aber so weit geht die Bereitschaft bei den Konservativen zu einer deutsch-französischen Zusammenarbeit dann doch nicht, es war Angst vor der eigenen Courage, den engen Nationalismus zu überwinden und den Schritt in ein Vereintes Europa zu wagen.

Dabei ist die DFPV nur ein begleitendes, aber kein kontrollierendes Gremium, mit dem die Arbeitsmethoden zwischen Bundestag und Assemblée einander angenähert werden sollen. Ein Gremium, mit dem sich beide Parlamente dazu verpflichten, die deutsch-französische Freundschaft zu stärken. Die Verabredungen des Aachener Vertrags bleiben der gemeinsamen Kontrolle entzogen, weil die DFPV keine Kontroll- und Widerspruchsrechte hat.

Ein zweiter Punkt, der in den Antrag der Regierungsfraktionen Eingang gefunden hat, ist ein explizites Bekenntnis zur atlantischen Freundschaft, obwohl diese gar nicht zur Debatte steht. »Atlantisch bleiben, europäisch werden – auch dafür ist eine engere Zusammenarbeit zwischen beiden Parlamenten unverzichtbar«, heißt es überraschend in dem Antrag. Dieser Einschub erinnert stark an den politischen Vorgang aus 1963, der zu einem Streit zwischen Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer geführt hatte.

Berlin wiederholt Affront von 1963

Am 22. Januar 1963 unterzeichneten Adenauer und de Gaulle im Pariser Élysée-Palast eine »Gemeinsame Erklärung« und einen »Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit«. Wegen dem Unterzeichnungsort wird beides als Élysée-Vertrag bezeichnet. Nur 18 Jahre nach dem Kriegsende haben de Gaulle und Adenauer erklärt, »dass die Versöhnung zwischen dem deutschen und dem französischen Volk, die eine Jahrhunderte alte Rivalität beendet, ein geschichtliches Ereignis darstellt, das das Verhältnis der beiden Völker zueinander von Grund auf neugestaltet«. Beide waren der Meinung, »daß die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern einen unerläßlichen Schritt auf dem Weg zu einem vereinigten Europa bedeutet«.

In der Abstimmung des Bundestages im Mai 1963, mit dem der Staatsvertrag ratifiziert wurde, war der deutschen Fassung des Elysée-Vertrags eine Präambel hinzugefügt worden, mit der die besondere Betonung der transatlantischen Beziehung hervorgehoben wurde. Darin wurde die Verpflichtung zu engen politischen, wirtschaftlichen und verteidigungspolitischen Beziehungen mit den USA, Großbritannien sowie der NATO bekräftigt. Das sorgte gleich für die ersten Verstimmungen mit Frankreich. Durch die nur für die deutsche Seite gültige Präambel mit dem Verweis auf die starke transatlantische Bedeutung wurde der Vertrag nach inoffiziellen französischen Kommentaren entwertet und Frankreich düpiert.

Rechtskonvergenz als Ziel

Auch 2019 hat die Assemblée das Parlamentsabkommen vor dem Deutschen Bundestag bestätigt und nun ist sie von dem Einschub in dem Antrag der Regierungsfraktionen überrascht. Die Wiederholung des Vorgangs von 1963 wurde nicht ohne Kopfschütteln registriert, auch wenn es keine offiziellen Kommentare dazu gibt. Man kann also sagen, dass es sich hier um einen rundum vermasselten Start eines Vorhabens handelt, dass auch aus linker Sicht eigentlich begrüßenswert ist. Es ist in der gegenwärtigen politischen Lage nicht nachvollziehbar, warum eine solche Positionierung in einem explizit deutsch-französischen Regelwerk stattfindet.

Die Versammlung soll mindestens zwei Mal im Jahr öffentlich tagen, abwechselnd in Deutschland und Frankreich. Die Versammlung wacht über die Bestimmungen des Elysée- und des Aachener Vertrags und über die Umsetzung und Evaluierung der auf diesen Verträgen beruhenden Projekte. Sie begleitet die Arbeit des Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrats und insbesondere die gemeinsame europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die DFPV formuliert Vorschläge zu deutsch-französischen Fragen mit dem Ziel, eine Konvergenz des deutschen und des französischen Rechts anzustreben.

Am 25. März 2019 tritt die Versammlung das erste Mal in Paris zusammen, wählt ein Büro und gibt sich eine Geschäftsordnung.