Ein gutes halbes Jahr vor der Bundestagswahl haben die Niederländer am 15. März ein neues Parlament gewählt. Mit der Feststellung des vorläufigen Ergebnisses wurde die Partei des amtierenden MP zur stärksten Kraft, bei gleichzeitigem Verlust von 10 Mandaten, das entspricht in etwa einem Minus von 25% für die VVD (-5,3%). Rutte konnte die Verluste nur durch einen massiven Rechtsrutsch und der Provokation der schlimmsten diplomatischen Krise der Niederlande seit 1945 einhegen. Geert Wilders und seine PVV haben nur 5 Mandate gewonnen, in etwa 33% und nicht verdoppelt, wie es zeitweise als realistisch eingestuft wurde (+2,98%).

Die PvdA hat ihr Agenda-2010 Momentum erlebt, sie hat in der Koalition mit der VVD etliche neoliberale Maßnahmen mitbeschlossen und ist um gut 19% auf 5,70% gefallen. Überrascht hat der Gewinn von Groenlinks, die nun 14 Mandate haben (+6,80%). Die SP ist mit 9,09% weitgehend stabil geblieben (-0,56%), das ist ein gutes Zeichen für DIE LINKE. In der Wahl in Deutschland ist ein zweistelliges Ergebnis im Herbst drin, weil es ein originäres Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit, Internationalismus, Frieden, sozial-ökologischer Nachhaltigkeit und rationaler EU-Kritik gibt. Insgesamt sind nun 12 Parteien im Parlament vertreten, da es keine 5%-Hürde gibt.

Der nahezu hysterische Jubel am Wahlabend über den »großen Wahlsieg« von Mark Rutte zeigt das Maß der Befürchtungen. Die EU-Verfassung war 2005 in Frankreich und den Niederlanden gescheitert. Das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine wurde 2015 in den Niederlanden abgelehnt. Die Ablehnung der jetzigen Verfasstheit der EU hat auch einen kritisch-rationalen Kern, darauf hat DIE LINKE seit der Unterzeichnung der Maastrichter Verträge immer hingewiesen. Wäre man stärker auf unsere Kritiken und konstruktiven sozialen und demokratischen Vorschläge eingegangen, wäre die Krise heute nicht so stark.

Am 60. Jahrestag der Römischen Verträge steht die EU am Beginn einer institutionellen Neuordnung. Dies wird aus den bisher vorgelegten Dokumenten wie dem »5 Präsidenten-Bericht« deutlich, dem »Weißbuch zur Zukunft der EU« und der »Erklärung von Rom«, die am 25. März unterzeichnet werden soll. Stichworte sind eine Europäische Verteidigungsunion, ein Euro-Zonen-Budget, ein Europäisches Finanzministerium, eine Vollendung der Währungs- und Wirtschaftsunion und eine Stärkung der demokratischen Legitimation der Euro-Zone. Es firmiert auch als »Europa der mehreren Geschwindigkeiten«.

Am 29. März wird die britische Premierministerin den Artikel 50 zum Austritt aus der EU aktivieren. Donald Tusk hat angekündigt, innerhalb von 48 Stunden den Regierungen der Mitgliedsstaaten die Leitlinien der Verhandlung zuzustellen. Am 6. April wird ein EU-Sondergipfel zur Aktivierung des Brexit einberufen, auf dem sie beschlossen werden sollen. Von dort gehen sie zur Kommission.

Am 16. April wird mit dem Referendum in der Türkei faktisch über das Ende des EU-Beitrittsverfahrens entschieden. Bis hierhin wird die Debatte zwischen Deutschland und der Türkei weitergehen. Am 23. April wird der erste Wahlgang zur Neubesetzung des Amtes des Präsidenten bzw. der Präsidentin der französischen Republik durchgeführt. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass der momentane Favorit der bürgerlich-neoliberalen Kräfte, Emanuel Macron, am Tag nach der Wilders-Wahl zu ihrer Auswertung und Abstimmung über das weitere Vorgehen im Deutsch-Französischen Tandem in Berlin war.

Die SPD hat Benoit Hamon und der PS von Francois Hollande die Unterstützung entzogen und sich Macron zugewendet. In einem Termin mit Sigmar Gabriel und Jürgen Habermas wurde bereits die Erneuerung der Deutsch-Französischen Achse mit »Kanzler Schulz« und »Präsident Macron« in Aussicht gestellt. Der frühe Vogel fängt den Wurm. Für Ende des Monats ist ein offizieller Auftritt mit den beiden in Planung. Es gab auch einen Termin mit der Kanzlerin, die noch im Wahlgang 2012 dem Kandidaten der PS, Francois Holland, nicht nur den Handschlag, sondern aus Parteilichkeit ein Treffen verweigert hatte, um Sarkozy zu unterstützen.

Schon in der Wiederwahl von Donald Tusk zum EU-Ratspräsidenten war eine entschiedene Haltung gegenüber der PiS-Regierung von Kaczynski zu erkennen. Im Wahlkampf zwischen Rutte, Wilders und Erdogan war eine politische Linie zu erkennen. Das Signal der Standhaftigkeit gegen die nationalistischen und populistischen Kräfte wird auch in Frankreich und in Deutschland zur Linie der weiteren Auseinandersetzung werden. Das bedeutet für Deutschland einen vollständig entgegengesetzten Wahlkampf zu denen von 2009 und 2013. Nicht asymmetrische Demobilisierung, sondern asymmetrische Mobilisierung durch Szenarienbildung und Teilübernahme der politischen Positionen des Rechtsaußen-Gegners wird zur Blaupause für den weiteren Wahlkampf der Regierungsparteien. DIE LINKE wird diesem Trend zum nationalistischen und rassistischen Rechtsrutsch nicht nachgeben, sondern an ihren politischen Überzeugungen festhalten.

Über die Vorschläge zur institutionellen Neuordnung der EU soll auf dem Dezembergipfel entschieden werden. Eine Weiterbehandlung und auch die Entscheidungen in den Brexit-Verhandlungen werden für das zweite Halbjahr 2018 angepeilt. In diesem Halbjahr hat Österreich den EU-Ratsvorsitz. Aus diesem Grunde flammt dort derzeit die Diskussion über vorgezogene Neuwahlen im November 2017 wieder auf. Denn ansonsten wäre man in dieser Zeit in Österreich durch die Schlussphase in einem Wahlkampf gelähmt, der aus heutiger Sicht auf ein Duell zwischen H.-C. Strache (FPÖ) oder Christian Kern (SPÖ) hinausläuft. Der 1966 in Wien geborene Kern ist schnell zum neuen Star in Österreich aufgestiegen. Er hat schon Monate vor Rutte einen FPÖ-light-Wahlkampf aufgelegt.