Der neue Artikel von Thomas Nord für den Bundestagsreport der Landesgruppe Brandenburg blickt zurück auf die Wahl der Kanzlerin und behandelt die schwierige Regierungsbildung in Italien.
Wahlen in der EU
Nicht mehr Berlin, sondern Rom
Die Wahl der Bundeskanzlerin hat am Mittwoch im Plenum bestätigt, was die deutsche und internationale Presse seit Monaten schreiben. Angela Merkel ist in ihrer vierten Wahlperiode eine geschwächte Kanzlerin am Ende ihrer politischen Laufbahn, die trotz aller vorherigen deutlichen Anzeichen nicht rechtzeitig den Absprung hingekriegt hat.
Die »Große« Koalition der Fraktionen von CDU/CSU und SPD hat im 19. Bundestag zusammen 399 Mandate bei insgesamt 709 Parlamentssitzen. Das entspricht einer Mehrheit von 56,3%. Aber Angela Merkel hat bei ihrer vierten Wahl zur Bundeskanzlerin in freier und geheimer Wahl nur 364 Stimmen bekommen, ein Ergebnis von 51,3%. Vier Abgeordnete haben ihre Stimme formal ungültig abgegeben und 17 haben mit Abwesenheit geglänzt.
Mindestens 35 Abgeordnete der Koalition haben ihr die Zustimmung verweigert. Stammen sie aus der SPD- oder den Unionsfraktionen? Hat sie überhaupt eine Mehrheit in der Regierungsfraktionen gehabt? Denn möglicherweise haben auch einige Grüne, die gerne mit Merkel regiert hätten, ihr die Stimme gegeben. Sie hat sich für maximal weitere dreieinhalb Jahre ins Kanzleramt gerettet, neue politische Impulse sind von ihr und der neuen Regierung kaum mehr zu erwarten. Der beschlossene Koalitionsvertrag strahlt Müdigkeit aus.
Am Freitag flog Merkel zum Antrittsbesuch nach Paris, dort wartet Präsident Emmanuel Macron seit September 2017 auf eine Antwort der deutschen Regierung zu seinen Reformvorschlägen für die Europäische Union und die Euro-Zone. Macron will z.B. eine Europäische Armee errichten, den europäischen Grenzschutz stärken, einen europäischen Wirtschafts- und Finanzminister ernennen, eine europäische Arbeitslosenversicherung und einen Europäischen Mindestlohn einführen. Außerdem will er ein Euro-Zonen-Parlament einrichten, also den Grundstein für ein Kern-Europa legen.
Teils sind diese Vorschläge mit Juncker abgestimmt und Inhalt des sogenannten »Nikolaus-Paketes«, dass die EU-Kommission am 6. Dezember 17 vorgelegt hat. Sie fordert darin eine Abstimmung über ihre Vorschläge im Europäischen Parlament und im Europäischen Rat noch vor der Neuwahl des Europäischen Parlaments im Mai 19. Obwohl Merkel eine gemeinsame Antwort der französischen und der deutschen Regierung zum Frühjahrsgipfel der EU im März 18 in Aussicht gestellt hatte, räumte sie vor wenigen Tagen ein, dass die Bundesregierung vor lauter Sondierungs- und Koalitionsgesprächen einfach nicht dazu gekommen ist.
Deshalb gäbe es keine Vorschläge mit der französischen Regierung und sie würden nun frühestens zum Juni-Gipfel vorgelegt. Aber Merkel übertüncht mit dieser Stellungnahme nur die grundlegenden Differenzen innerhalb der neuen Regierung aus Union und SPD und die Differenzen zwischen der deutschen und der französischen Regierung. Darüber hinaus gibt es weitere offene politische Gegensätze in der EU.
Die Finanzminister aus Schweden, Dänemark, Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Niederlande und Irland haben sich vor wenigen Tagen in einem Brandbrief an ihre Kollegen gegen eine weitere Vertiefung der Währungsunion gestellt. Sie setzen statt einer weiteren Vergemeinschaftung und einer Letzthaftung für marode Banken in einem EWF darauf, die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Mitgliedsstaaten zu verbessern. Die Nordländer stemmen sich mit aller Kraft gegen eine Haftungsunion.
Sie fordern mit dem Brief zugleich eine Mitbestimmung bei der weiteren Ausarbeitung von Reformvorschlägen für die EU ein und wenden sich gegen die exklusive Abstimmung zwischen Juncker, Macron und Merkel. Zugleich kann man in dem Brief die Befürchtung herauslesen, dass die Bundesregierung mit dem Wechsel des Finanzministeriums von einer CDU zu einer SPD Führung vom Kurs der Nordländer auf den Kurs der Südländer einschwenken könnte.
Der sich stärker abzeichnende Nord-Süd-Gegensatz zwischen den reicheren und den ärmeren Ländern ist gewissermaßen die Wiederkehr des italienischen Problems auf EU-Niveau. Die Lega Nord strebt seit langer Zeit für Norditalien nach Unabhängigkeit aber doch zumindest stärkerer Autonomie von Rom. Am 4. März hatten die Italiener nach einem sehr aufgehitzten Wahlkampf ein neues Parlament gewählt. Doch das neue Grabenwahlrecht »Rosatellum« entpuppt sich als so kompliziert, dass über zehn Tage nach der Wahl noch keine exakte Sitzaufteilung zwischen den Fraktionen und Bündnissen feststeht.
Als stärkste Einzelpartei waren Fünf Sterne auf dem ersten Platz gelandet (32,2%, +6,6%). Das Bündnis aus Forza Italia, Lega Nord, Fratelli d´Italia ist auf den zweiten Platz gelandet. Hier war die Überraschung, dass die erstmals in Gesamtitalien angetreten Lega Nord (nun heißt sie nur noch Lega) innerhalb des Bündnisses mit großem Abstand auf dem ersten Platz gelandet war (17,7%, +13,6%). Berlusconis Forza Italia war abgeschlagen (13,9%, -7,6%). Fratelli d´Italia kam auf 4,35%, +2,35). Das Rechtsbündnis hat aufgerundet 36%, liegt damit vor der Fünf-Sterne-Partei.
Die italienische Sozialdemokratie unter Matteo Renzi bekam keine 20% (18,9%, -6,5%). Damit ist nach der Wahl in Deutschland in einem weiteren EU-Land eine sozialdemokratische Partei abgestürzt. Im Unterschied zu Deutschland aber hat der Spitzenkandidat und Parteivorsitzende Renzi direkt nach der Wahl die Konsequenzen aus seiner politischen Verantwortung realisiert und ist zurückgetreten. Doch in einem anderen Punkt hat die Partito Democratico die gleiche Karte gezogen, sie hat mit diesem Ergebnis nun kategorisch ausgeschlossen, in eine neue Regierung einzutreten.
Der jetzige Ministerpräsident Paolo Gentiloni ist wie vordem Merkel nur noch geschäftsführend im Amt und in seiner Entscheidungsgewalt limitiert. Die weitere formale Initiative liegt derzeit bei Präsident Sergio Matarella, der den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen muss. Der Vorsitzende der Lega, Matteo Salvini hat einen Anspruch auf den Regierungsvorsitz erhoben. Der Vorsitzende der Fünf-Sterne-Partei, Luigi di Maio hat Anspruch auf die Präsidentschaft in der Abgeordnetenkammer erhoben.
Am 23. März sollen die Abgeordnetenkammer (630 Sitze) und der Senat (320 Sitze) das erste Mal zusammentreten und jeweils einen Präsidenten wählen. Hier wird sich zeigen, ob Salvini oder di Maio in der Lage ist, die notwendigen 2/3 Mehrheiten zu bilden. In Italien hat mit dem 4. März das begonnen, was der Mitgliederentscheid der SPD in Berlin beendet hat. Ein langwieriger und komplizierter Prozess der Regierungsbildung. Er ist ein weiterer Bremsstein in der Zeitplanung von Juncker, Merkel und Macron. Europa wartet jetzt nicht mehr auf Berlin, sondern auf Rom.
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