Im Digitalen Kapitalismus wandeln sich die Arbeit und das Kapital. Marx wäre heute vermutlich einer der eifrigsten Vorkämpfer für eine Europäische LINKE, um dem Kapital ein starkes Paroli zu bieten.

 

200 Jahre Karl Marx

Dem Kapitalismus Paroli bieten

 

Marx wurde in einem bewegten Zeitalter geboren. Napoleon war geschlagen, der Wiener Kongress drei Jahre her. Die Dampfmaschine war erfunden, der Webstuhl und andere industrielle Maschinen revolutionierten die Produktion. Die Restauration hatte gegen Napoleon gewonnen, im Kampf gegen das heraufziehende Industriezeitalter stand sie auf verlorenem Posten. In diesem repressiven Klima wurde der kritische Journalist Karl Marx zum politischen Flüchtling. Paris war nicht weit genug weg, um dem langen Arm der wilhelminischen Unterdrückung zu entfliehen. Erst das Vereinigte Königreich mit seiner konstitutionellen Monarchie und dessen Hauptstadt London war für ihn ein sicherer Ort.

Der Gegensatz von Kapital und Arbeit

In den Umbrüchen von der Agrar- zur Industriegesellschaft gingen massenhaft Arbeitsplätze in der Landwirtschaft verloren. Neue Arbeit entstand in den Fabriken, aus Leibeigenen und Bauern wurden Arbeiter, die der Willkür des entstehenden Kapitalismus ausgesetzt waren. Der politische Flüchtling Marx traf in London auf den entstehenden kommunistischen Widerstand gegen die Ausbeutung und Unterdrückung. Durch die Wendung der bis dahin favorisierten idealistischen Philosophie in eine materialistische entwickelte er in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Theorie vom unversöhnlichen Klassengegensatz. Der Weg zur klassenlosen Gesellschaft konnte nur durch die Revolution des Proletariats und die Errichtung der Herrschaft der Arbeiterklasse erreicht werden. Dieser Weg fand in Deutschland, in Europa und Russland im Umbruch der 1990er Jahre sein politisches Ende, eine globale neoliberale Offensive setzte ein.

Nahezu dreißig Jahre nach dem Mauerfall hat die materialistische Weltanschauung von Marx wieder eine hohe Attraktivität. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass in den Jahren der neoliberalen Vorherrschaft die soziale Frage beständig größer geworden ist. Die materialistische Philosophie basiert auf der Annahme, dass die technologische Produktionsweise die gesellschaftliche Seinsweise bestimmt und in der Folge auch die gesellschaftliche Ordnungsweise und ihre staatlichen Institutionen. Wenn sich nun die technologische Basis der Produktionsweise grundlegend verändert, folgt daraus mit einer nicht exakt zu bestimmenden zeitlichen Verzögerung eine stetige Veränderung in Wirtschaft, Gesellschaft und staatlicher Ordnung.

Fortdauernde technische Revolution

In etwa 1770 setzte mit der Patentierung der Dampfmaschine die industrielle Revolution ein, die Karl Marx erlebt, beschreibt und versucht, in ihren ökonomischen und politischen Folgen greifbar zu machen. Ende der 1860er Jahre wurde die Stromerzeugung serienreif. 1886, drei Jahre nach dem Tod von Marx gelang die erste Energieübertragung mit Wechselstrom. In den 1940ern wurde der erste Computer erfunden und seit der Erfindung des Internet mit all seinen Facetten versuchen wir zu verstehen, was daraus für wirtschaftliche, politische, kulturelle und soziale Folgen resultieren. Wie sich Kapital und Arbeit und das Verhältnis beider zueinander verändern. Was aus diesen Änderungen für Änderungen im institutionellen Gefüge resultieren?

Eine allgegenwärtige Folge ist die Globalisierung von Produktion, Distribution und Kommunikation. Es sind in Windeseile neue weltumspannende Konzerne wie facebook und google entstanden. Wir sehen das Ringen der Weltmächte um Vormachtstellung und Neuordnung. Die Schrumpfung der USA von der Rolle als Weltpolizist und westlicher Leitmacht. Den Aufstieg Russlands zu einer Globalmacht und den Aufstieg Chinas, das mit dem Projekt zu einer neuen Seidenstraße die globalen Warenströme neu organisieren und die Handelsbeziehungen neu gewichten will. Materiell ermöglicht wird dies durch die Computertechnik wie seinerzeit die Industrialisierung der Frühzeit durch die Dampfmaschine und die Erfindung des Stroms. Mit der Erhöhung der Innovationsgeschwindigkeit steigt die Folgengeschwindigkeit bzw. der Anpassungsdruck. Teils sind sie so hoch, dass man Schwierigkeiten bekommt, den Anschluss nicht zu verlieren. An die technologische Entwicklung, an die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Folgen.

Union und Nation – kein Marxscher Gegensatz

Aus diesen beiden Gesichtspunkten heraus, Folgen der Digitalisierung in Produktion, Distribution und Kommunikation einerseits und Neugewichtung der globalen politischen Machtverhältnisse andererseits wird auch die Frage nach der Zukunft der Europäischen Union gestellt. Die Vollendung der Europäischen Union wird als ein logischer institutioneller Schritt gesehen, der sich aus dem Digitalen Fortschritt und seinen Folgen ergibt. Es ist in dieser Sicht nur eine Frage, wie er vollzogen wird. Ob es wie im Umbruch von den Reichen zu den Nationen wieder zu Kriegen und Revolutionen kommt? Oder ob der Mensch lernfähig ist und die politischen Anpassungsprozesse, die aus dem technologischen Fortschritt resultieren, bruchlos vollzieht?

Wenn man mit dem Blick von Karl Marx und seiner materialistisch begründeten Folgenabschätzung auf die aktuelle Lage der Europäischen Union schaut, gewinnt man den Eindruck, dass politische Kräfte wie AfD, FPÖ, Lega Nord (jetzt Lega), PVV, Front National (jetzt Rassemblement National), Fidesz und PiS sich auf einen Punkt stellen, der auf der anderen Seite einer bruchlosen Entwicklung steht. Sie nutzen zwar allesamt die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung, soziale Netzwerke wie facebook, instagram und twitter (teils sehr professionell), wollen aber den Folgen dieses Nutzens nicht ins Gesicht schauen. Sie sehen in dem Rückbau der Union und dem Rückzug auf den Nationalstaat eine Lösung. Sie schauen auf die Vergangenheit und romantisieren Volk, Nation und Vaterland. Doch Union und Nation ist nicht der treibende politische Gegensatz der Gegenwart, es ist die digitale Entwicklung und ihre globalen Folgen für Wirtschaft, Gesellschaft und Staat. Wer diese nicht will, muss sich gegen die Digitalisierung wenden.

Wandel des Kapitals

Die Marxsche Dialektik ist auch heute eine zentrale Wurzel im politischen Selbstverständnis der LINKEN. Ihr zentraler Gegenstand ist die materialistische Philosophie und ihre Folgenlogik. Der Antagonismus von Kapital und Arbeit in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen spielt darin die Hauptrolle. In seiner Aufhebung liegt der Schlüssel zur Beantwortung der Sozialen Frage. Im Zusammenhang mit dem Digitalen Kapitalismus reden wir zumeist über den Wandel der Arbeit und der Arbeitsplätze. Unterbeleuchtet bleibt die Diskussion über den Wandel des Kapitals und seiner Erscheinungsformen. Nicht nur Digitale Währungen wie Bitcoin, auch der Euro kann als eine zeitgemäße Wandelform des Kapitals gesehen werden. Bei all den Veränderungen der letzten 150 Jahre wäre Marx heute vermutlich einer der eifrigsten Vorkämpfer für eine Europäische LINKE, um dem Kapital in der sozialen Frage ein starkes Paroli bieten zu können.