„Take back Control“, lautete die zentrale Aufforderung der Leave-Kampagne. Heute ist der Katzenjammer groß. Der neue Artikel von Thomas Nord behandelt das aktuelle Brexit-Debakel.

Brexit-Debakel

Ohne inneren Kompass

»Take back Control!« – »Hol dir die Kontrolle über dein Land zurück«. So lautete die zentrale Aufforderung der »Leave«-Kampagne, der Austrittsbefürworter*innen in der Volksabstimmung über die Frage der weiteren Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Am Abend des 24. Juni 2016, als das Ergebnis verkündet wurde, war der Jubel bei den Austrittsbefürwortern groß. David Cameron trat von seinem Amt zurück, Theresa May übernahm, am 28. März 2017 hat sie als Premierministerin den Artikel 50 des Vertrags von Lissabon aktiviert.

Heute ist im ganzen Vereinigten Königreich (VK) der Katzenjammer groß. Eine Woche nach dem auf den 12. April verschobenen Austrittsdatum vom 29. März ist dem VK die politische Kontrolle unübersehbar vollständig entglitten. Die Regierung ist drei Mal wider besseren Wissens gegen das angekündigte »Nein« des House of Commons, des britischen Unterhauses, gerannt. Die Regierung unter Premierministerin Theresa May steht mit leeren Händen da. Es bleibt ihr nichts anderes übrig, als erneut zur EU zu rennen und um Verlängerung der Mitgliedschaft und eine Verzögerung des Austritts zu bitten.

Nachdem das Parlament der Regierung die Hoheit über den Abstimmungsprozess entzogen hat und alle Vorschläge ebenfalls abgelehnt wurden, steht auch das House of Commons mit leeren Händen da. Die Opposition, vor allem Labour, macht vorwiegend Innenpolitik, Jeremy Corbyn will nach Neuwahlen als Premier in Downingstreet 10 einziehen. Von den damaligen führenden Köpfen der »Leave«-Kampagne ist nichts mehr zu hören.

Ein Teil der Nord-Iren träumt schon nicht mehr so heimlich von einer politischen Einheit mit der Insel Irland, um in der EU zu bleiben. Die Schotten drohen nach jeder Abstimmung mit der möglichen Souveränität, das heißt der Abspaltung vom Empire, um dann über Artikel 49 der Lissabonner Verträge (EUV) Mitglied in der EU zu werden. Das schottische Pfund allerdings wollen auch sie nicht so gerne hergeben. Die Queen und das Königshaus machen sich einen schlanken Fuß. Soll das Volk doch sehen, wie es die Suppe auslöffelt, die es sich eingebrockt hat.

Weit und breit ist keine handlungsfähige politische Kraft mehr im Vereinigten Königreich zu erkennen. In der internationalen Presse tritt der offene Hohn und Spott an die Stelle des Mitleids. „Take back Control.“ Das vollständige Gegenteil von dem, was die Befürworter*innen der »Leave«-Kampagne erreichen wollten, ist eingetreten. London, das Herz des ehemals stolzen Empires, Siegermacht im Zweiten Weltkrieg über den deutschen Faschismus, ist orientierungs- und hilflos in den Angelegenheiten, die doch früher einmal das Herzstück von politischer Souveränität ausmachten.

Interessant ist, dass in den Umfragen zum Brexit nach wie vor eine verhärtete Zweiteilung der Bevölkerung sichtbar ist. Sie liegt bei 50% auf jeder Seite. Hierin liegt das eigentliche innenpolitische Konfliktpotenzial und die Unentschiedenheit, zu gehen oder zu bleiben.