In Österreich findet am kommenden Sonntag die vorgezogene Nationalratswahl statt.
Vorgezogene Wahlen in Österreich
Pizza in Ibiza
Am Sonntag wird in Österreich ein neues Parlament gewählt, regulär hätte diese Wahl erst im Herbst 2022 angestanden. Auslöser für den Regierungsbruch und die vorgezogene Neuwahl war die so genannte „Ibiza-Connection“ oder „Ibiza-Affäre“ des damaligen Vize-Kanzlers und Innenministers der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), Hans-Christian Strache. Wenige Tage vor der Wahl zum Europäischen Parlament, am 18. Mai 2019, wurde ein bereits im Wahlkampf 2017 heimlich aufgenommenes Video veröffentlicht.
Der Inhalt dokumentierte ein Gespräch zwischen Strache, seinem Parteifreund Johann Gudenus und einer vermeintlichen russischen Oligarchengattin durch das Magazin ›Der Spiegel‹ und der ›Süddeutschen Zeitung‹ veröffentlicht. Neben Pizza und Bier ging es in dem Gespräch um illegale Parteispenden, von 500.000 bis zwei Millionen war die Rede. Es ging um mögliche politische Einflussnahmen aus den Sektoren Waffen, Glücksspiel und Immobilien auf die Politik. Es ging um das Vorhaben der gezielten Manipulation der Öffentlichkeit vor der Wahl durch eine einflussreiche zentrale österreichische Zeitung.
Man wollte drei, vier Leute gezielt aufbauen und von anderen Parteien drei, vier Leute gezielt abservieren. Damit verbanden Strache und Gudenus die Hoffnung, von 27% auf 34% in den Umfragen und im Wahlergebnis von Oktober 2017 zu steigen, um als stärkste Partei mit Strache selbst den Kanzler stellen zu können. Als Gegenleistung wurden großvolumige Infrastrukturprojekte in Aussicht gestellt.
Straches ›Gespräch‹ steht zeitlich in einem politischen Bogen, in dem in Österreich des Jahres 2016 eine Stichwahl um das Präsidentenamt (Mai) wegen der Möglichkeit der Wahlfälschung wiederholt werden musste (Dezember). Zur Auswahl standen der FPÖ-Mann Norbert Hofer und der Grünen-Politiker Alexander van der Bellen, der heutige Amtsinhaber in der Wiener Hofburg. Durch den Rücktritt von Reinhold Mitterlehner (SPÖ) platzte die ÖVP-SPÖ Koalition und es wurden vorgezogene Neuwahlen für den 15. Oktober 2017 vereinbart.
Regulär wäre der Oktober 2018 gewesen, durch einen Beschluss des Nationalrats von 2007 war es die erste fünfjährige Wahlperiode. Die SPÖ schnitt im Vergleich zu 2013 stabil ab. Bei den Konservativen übernahm Sebastian Kurz (ein österreichischer Karl-Theodor Guttenberg) die Partei, die ÖVP trat als Liste Sebastian Kurz an. Die ÖVP gewann die Wahlen, nach zehn Jahren gemeinsamer Regierungen zwischen SPÖ und ÖVP (Alfred Gusenbauer und Werner Faymann leiteten die Kabinette) ging Kurz eine Koalition mit der FPÖ ein und übernahm das Kanzleramt, Strache wurde Vize-Kanzler.
Die rechtsextreme FPÖ war bereits von 2000 bis 2002 mit der ÖVP unter Wolfgang Schüssel in einer Bundesregierung, sie zerbrach nach einem FPÖ-internen ›Umbruch‹ in der ›Knittelfelder-Versammlung‹, auf der symbolisch der Koalitionsvertrag zerrissen wurde, weil er von Jörg Haider und anderen als zu liberal eingestuft wurde. Tags darauf trat die FPÖ-Vizekanzlerin und weitere Minister zurück. In der daraufhin stattfindenden Neuwahl im November 1999 verlor die FPÖ in etwa zwei Drittel der Stimmen.
Sebastian Kurz ließ der FPÖ in der gemeinsamen Regierungszeit viele Fehltritte und Skandale durchgehen, doch die Veröffentlichung des Ibiza-Videos brachte das Fass zum Überlaufen. Kurz erklärte das Ende der gemeinsamen Regierung, der Neuwahltermin wurde auf den 29. September gelegt. Wenig später wurde bekannt, dass ein enger Mitarbeiter von Kurz unter falschem Namen fünf Festplatten von einem professionellen Datenvernichtungsunternehmen außer Haus hat schreddern lassen. Als Begründung für diese vernebelte Aktion nannte er das Argument, eine Diskussion über eine eventuelle Wahlniederlage nicht aufkommen zu lassen.
Doch die Schredder-Affäre hat in den Umfrageuntersuchungen keinen relevanten Einfluss bei der ÖVP hinterlassen. In der Wahl 2017 bekam die ÖVP rund 31,5%, heuer steht sie bei 35%. Das ist bei der FPÖ nach dem Ibiza-Video anders. Sie bekam 26%, sie steht bei 20%. Nach dem Koalitionsbrauch von 2002 war sie um knapp 17% abgestürzt. Die SPÖ bekam bei der Nationalratswahl 2017 knapp 27% und steht nun bei knapp 22%. Die Grünen hatten aufgerundet 4% und werden nun bei 11,5% gesehen.
Die als neoliberal eingestuften Neos hatten rund 4,5% und hoffen nach Umfragen auf 8,5%. Die nun als Liste ›Jetzt‹ antretende ehemalige Liste ›Peter Piltz‹ wird nach einem Ergebnis 2017 knapp über der in Österreich geltenden 4%-Hürde nun bei 1,4% eingeordnet und wäre im nächsten Parlament nicht mehr vertreten. Kurz hat für die ÖVP nach der Wahl weder eine Koalition mit der SPÖ noch mit der FPÖ ausgeschlossen.
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