Zwar ist es Matteo Salvini nicht gelungen, die rote Mehrheit in der Emilia Romagna zu kippen, aber die „Lega“ ist seit der letzten Wahl von 19 auf 32 Prozent gestiegen.

Regionalwahlen in Italien

Kleiner Triumph – Großes Geheul

 

Wie groß die Befürchtungen eines möglichen Wahlsieges des Rechtsbündnisses mit der Lega in der Regionalwahl in der Emilia Romagna war, kann man an den oftmals im Ton überzogenen Erleichterungsnachrichten ablesen, dass es Matteo Salvini nicht gelungen ist, in der roten Hochburg Emilia Romagna die Mehrheit zu bekommen. Denn so deutlich wie verkündet, ist der Wahlausgang nicht.

Seit dem Ende der Mussolini-Diktatur wird die Region Emilia Romagna mit ihren neun Provinzen Rot regiert und gilt als die rote Herzkammer Italiens. Sie wurde in den 1950ern weltberühmt durch die Figuren von Don Camillo und Peppone, die den Streit zwischen Katholizismus und Kommunismus im Italien seiner Zeit auf eine amüsante und doch zutreffende herzlichen Art und Weise charakterisiert haben. Fernandel und Gino Cervi haben die Rollen von Don Camillo und Peppone bis heute unerreicht verkörpert. Großes Kino.

Heute ist die politische Lage vielleicht immer noch großes Kino, aber längst nicht mehr herzlich. Sondern viel eher ein großes Drama. Und das nicht nur in der Emilia Romagna, sondern in ganz Italien. Mit einem Rückblick auf das vergangene Jahr hatte der damalige Innenminister Matteo Salvini von der Lega, die seit der Gründung 1989 bis 2018 nur in den norditalienischen Regionen als Lega Nord angetreten ist. Bis 2017 hatte sie kontinuierlich auf den faulen italienischen Süden geschimpft und eine Unabhängigkeit von »Padanien« gefordert.

»Padanien« wurde von Gianfranco Miglio in den 1990er Jahren als Begriff in die politische Debatte Italiens eingeführt. Damit war der Versuch verbunden, über einen Rückgriff u.a. auf die Kultur des »Keltentums« eine eigenständige norditalienische Identität zu kreieren. Die Ableitung war die Forderung nach Sezession und Gründung eines eigenen norditalienischen Staates. Umso erstaunlicher war es, dass viele der lange als faul beschimpften Süditaliener ohne zu zögern im Jahr 2018 die Lega gewählt haben. Ein Hauptgrund wird in der sehr starken Akzentuierung des Nationalen, der Ablehnung der EU und der Politik der Abschottung gegen Flüchtlinge durch die Lega gesehen. Die Lega bekam in der nationalen Wahl vom 4. März 2018 einen Anteil von 17,43%, das ist ein Plus von 12,55% im Vergleich zur Wahl vom Februar 2013.

Der Komiker Beppe Grillo hatte nach der Finanzkrise von 2008 mit dem »Vaffanculo-Day«, dem »Leck-mich-am-Arsch-Tag«, viel Zuspruch bekommen. Im Jahr 2009 ist die Bewegung als Partei »Movimento Cinque Stelle« (M5S) italienweit angetreten und kam aus dem Stand auf 25,56%. Im September 2017 wurde Luigi di Maio in einem Online-Verfahren zum Parteivorsitzenden bestimmt. Nach der Wahl 2018 gingen M5S und Lega unter Vorsitz von Matteo Salvini eine Regierungskoalition ein, mit Guiseppe Conte wurde ein parteiloser Jurist am 1. Juni 2018 Ministerpräsident. Di Maio und Salvini wurden seine Stellvertreter, Di Maio wurde Wirtschafts- und Arbeitsminister, Salvini nahm den Posten des Innenministers ein.

Erneuter Marsch auf Rom?

Während Conte und Di Maio in den kommenden Monaten politisch farblos blieben, hat Salvini als Innenminister mit einer stark fremden- und flüchtlingsfeindlichen Politik die Außendarstellung der Regierung dominiert. In den folgenden Monaten haben sich die Zustimmungswerte für Fünf Sterne und Lega umgekehrt, 30% für die Lega, 15 für die Fünf Sterne. Dies wurde durch mehrere regionale Wahlergebnisse in Serie bestätigt. Salvini sah eine günstige Stunde gekommen, um selber Ministerpräsident zu werden, er nahm einen Regierungsstreit über einen Eisenbahntunnel zum Anlass und reichte am 9. August 2019 einen Misstrauensantrag gegen die Regierung Conte ein. Am 20. August reichte Conte seinen Rücktritt ein, Staatspräsident Matarella bat Conte, geschäftsführend im Amt zu bleiben.

Lediglich aus Angst vor dem Erfolg Salvinis und der Lega bei Neuwahlen rauften sich nun M5S und Partito Democratico (PD) mit weiteren Kleinparteien und großem Widerwillen gegeneinander zu einer Regierungsvereinbarung zusammen. Salvini war mit seinem Plan gescheitert und stand wie ein nasser Pudel da. Es kam zum Kabinett Conte II, in dem Di Maio nun Außenminister ist, das ist bis heute mehr brüchig als stabil, weil die handelnden Personen die Rivalitäten zwischen PD und M5S nicht überwunden haben. Nur die Einigkeit in der demokratisch notwendigen Abwehr von einem erneuten »Marsch auf Rom« nach Vorbild von Benito Mussolini im Oktober 1922 hält die Regierung in Rom zusammen.

Salvini hat sich nach einem Schockmoment geschüttelt, aufgerappelt und neu aufgestellt. Die Umfragen im Vorlauf auf die Wahlen in der Emilia Romagna haben ihm dabei Auftrieb gegeben. Denn das erste Mal seit dem Ende von Mussolini bestand die reale Aussicht darauf, dass ein Rechts-Mitte-Bündnis die Mehrheit in der seit 75 Jahren festen roten Hochburg von Peppone bekommen könnte. Mit diesem Sieg hoffte Salvini, die Regierung in Rom zu Fall zu bringen und doch noch zu vorgezogenen Neuwahlen zu kommen. Er hat sein Vorhaben, italienischer Ministerpräsident zu werden, nicht aufgegeben. Diese Hintergrunddramaturgie erklärt die Höhe des Freudentaumels über den Sieg des Links-Mitte-Bündnisses in der Emilia Romagna vom 26. Januar 2020.

Das Bremsmanöver

»Rechtspopulisten gestoppt« heißt der Tenor der italienischen und der internationalen Berichterstattung. Dabei wird auch auf eine neue antifaschistische Bewegung gezeigt, die »Sardinen«. Mitte November 2019 waren das erste Mal aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik der Lega Menschen mit Schildern von Sardinen auf die Straße gegangen. Der Protest ging viral, hatte auch real großen Zulauf und ist in Nullkommanichts zu einer Hoffnung im Kampf gegen rechts geworden. Die Sardinen wollen keine Partei werden und haben vor allem in der Provinz Bologna mobilisiert. Der zusätzliche Mobilisierungseffekt hat zwar den Sieg des Mitte-Rechts-Bündnisses verhindert, den Aufstieg der Lega aber nicht verhindert. Zu den Zahlen:

Am 26. Januar 2020 haben 67, 67% der Wahlberechtigten teilgenommen, das entspricht 2.373.974 Stimmen. Für den Mitte-Links Kandidaten Stefano Bonaccini haben 51,42% gestimmt, das sind 1.195.742 Stimmen absolut. Das Bündnis besteht aus Partito Democratico (749.976 Stimmen, 34,96%, 22 Sitze), Bonnacini Presidente (124.591 Stimmen, 5,76 %, 3 Sitze), Emilia-Romagna Corragiosa Ecologista Progressista (81.419 Stimmen, 3,77%, 2 Sitze), Europa Verde (42.156, 1,95%, 1 Sitz), +Europa-Psi-Pri 33.087 Stimmen, 1,53% 0 Sitze) und Volt Emilia-Romagna (9.523 Stimmen, 0,43% 0 Sitze).

Für die Mitte Rechts-Kandidatin Lucia Borgonzoni haben 43,63% gestimmt, das entspricht in absolut 1.014.672 Stimmen. Das Bündnis besteht aus Lega (690.864 Stimmen, 31,95%, 14 Sitze), Fratelli d´Italia (185.796 Stimmen, 8,59%, 3 Sitze), Forza Italia (55.317 2,56%, 1 Sitz), Progetto Emilia-Romagna Rete Civica Borgonzoni Presidente (37.642 Stimmen, 1,73%, 0 Sitze), Il Popolo della Famiglia Cambiamo 6.341 Stimmen, 0,29%, 0 Sitze), Giovanni per l´Ambiente (6.007 Stimmen, 0,28%, 0 Sitze). Für Cinque Stelle ist Simone Benini als Einzelkandidatin angetreten (102.595 Stimmen, 4,74%, 2 Sitze).

Schaut man hingegen auf das Ergebnis der vorhergehenden Wahl vom 23. November 2014, lag die Wahlbeteiligung bei 37.71%, das sind absolut 1.304.841 Stimmen. Es haben sich also 2020 in etwa 30% mehr Wahlberechtigte in den Wahlgang eingebracht. Dies ist ein Indikator für eine politisch aufgeheizte Stimmung in der Gesellschaft. Stefano Bonaccini hat in einem Mitte-Links-Bündnis aus vier Parteien mit 49,05% und 615.723 Stimmen gewonnen. Die Partito Democratico bekam 44,53%, 535.109 Stimmen, 29 Mandate, Sinistra Ecologia Liberta 3,23%, 33.845 Stimmen, 2 Mandate, Emilia Romagna Civica Centro 1,5%, 17.984 Stimmen, 0 Sitze, Democratico-Democracia-Solidale 5.247 Stimmen, 0,44%, 0 Sitze.

Für das Mitte-Rechts-Bündnis trat Alan Fabbri an und holte 29,85% und 374.436 Stimmen. Vertreten waren damals noch Lega Nord mit 19,42%, 233.439 Stimmen, 8 Sitze, Forza Italia mit 8,36%, 100.478, 2 Sitze, Fratella d´Italia – Alleanza Nazianale 1,92%, 23.052, 1 Sitz. Guilia Gibertoni trat als Einzelbewerberin für Movimento Cinque Stelle – BeppeGrillo.it an und bekam 13,27%, 159.456 Stimmen und 5 Mandate. L´Altra Emiglia bekam 3,72%, 44.676 Stimmen und 1 Mandat.

Gebremst, aber nicht ausmanövriert

Wenn man noch einen Wahlgang weiter auf die Ergebnisse vom 28. März 2010 zurückblickt, ist die Wahlbeteiligung mit 68,07 % sogar höher als 2020. Es haben 2.357.773 Wahlberechtigte ihre Stimme abgegeben. Vasco Errani hat für das Mitte-Links-Bündnis den Sieg davon getragen, Partito Democratico hat 40,65%, 857.613 Stimmen, 18 Mandate geholt. Anna Maria Bernigni für das Mitte-Rechts-Bündnis 36,73%, 844.915 Stimmen. Interessant ist, Il Popolo de Liberta liegt mit 24,56%, 518.108 Stimmen und 10 Mandaten noch deutlich vor Lega Nord mit 13,68%, 288.601 Stimmen, 4 Sitze. Giovanni Favia holte für die erstmals antretenden Movimento Cinque Stelle 6,0%, 126.619 Stimmen, 2 Sitze.

In der Rückbetrachtung also fällt die Partito Democratico in der Emilia-Romagna seit 2010 von 40,65% auf 34,96% im Jahr 2020. Das ist kein dramatischer Verlust und kann als eine nicht unübliche Schwankungsbreite interpretiert werden. Die Lega jedoch steigt von 2010 noch als regional antretende Lega Nord von 13,68% auf 31,95% im Jahr 2020. Cinque Stelle als Bewegungspartei fallen von 6,0% im Jahr 2010 über 13,27% im Jahr 2014 auf 4,74% im Jahr 2020. Als eine unmittelbare Reaktion hierauf ist Luigi di Maio vom Parteivorsitz zurückgetreten, hat M5S in eine noch tiefere Krise gestürzt und der Druck auf die Regierung in Rom ist gestiegen. In den Ergebnissen für M5S zeigt sich erneut der Verlauf von politischen Stimmungsbewegungen. Es ist auffällig, dass in der Wahl 2014 jeweils vier Parteien ein Bündnis eingingen, 2020 aber sechs.

Zwar ist Matteo Salvini gemessen an seinem ausgegebenen Ziel, die rote Mehrheit in der Emilia Romagna zu kippen und dadurch die Regierung in Rom zu Fall zu bringen, um rund 8% gescheitert, aber die Lega ist seit der letzten Wahl von 19,42% auf 31,95% gestiegen. Forza Italia hingegen ist von 8,3% auf 2,5% gefallen, ein Minus von knapp 6%. Bei der gleichzeitig stattfindenden Regionalwahl im süditalienischen Kalabrien hat der Kandidat des Mitte-Rechts-Bündnisses mit 55,29% die Mehrheit geholt. Dabei ist freilich interessant, dass Berlusconis Forza Italia mit 12,34% vor der Lega mit 12,25% liegt. Die nächste reguläre Nationalwahl in Italien ist im Frühjahr 2023. Wird es bis dahin eine neue Bewegung geben, die erstmals als Partei antritt?