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Politische Besonnenheit

… in gesundheitlicher Notlage. Zur medizinischen Debatte um die Corona-Pandemie ist mit den nun beschlossenen Maßnahmen eine politische Debatte hinzugekommen.

Corona-Pandemie

Politische Besonnenheit in gesundheitlicher Notlage

 

Ende Dezember 2019 war in der Zeitung zu lesen, dass es in der Millionenstadt Wuhan in der chinesischen Provinz Hubei zu einer neuartigen Virusinfektion gekommen ist. Am 11. März konstatierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine globale Pandemie. Das jetzt verordnete Reduzieren menschlicher Kontakte beruht auf Annahmen vor allem des Robert-Koch-Instituts (RKI).

Nach RKI könnten sich alleine in Deutschland bei gleichbleibender gesellschaftlichen Aktivitäten in sehr kurzer Zeit bis zu 10 Millionen Menschen infizieren. Die Bundesregierung sieht ca. 70% bis 80% der Bevölkerung in der realen Konfrontation mit dem Virus und seinen gesundheitlichen Folgen. Auf Grund dieser Zahlen wird eine vollständige Überforderung des Krankenhauswesens befürchtet. Aus kritischer Sicht rächt sich, dass das Krankenhaussystem aus neoliberaler Gewinnperspektive optimiert wurde. Gesundheit ist keine Ware. Ein Patient kein Kunde.

Von der medizinischen zur politischen Debatte

Mit den am vergangenen Sonntag von Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen zur Begrenzung der Freiheits- und Mobilitätsrechte von Bürgerinnen und Bürgern ist zu der medizinischen Debatte um Begrenzung und Eindämmung der Proliferation des Virus eine politische Debatte hinzugekommen. Sie kann ebenfalls in kurzer Zeit eine explosive Entwicklung nehmen. Wie lange sind den Einzelnen solche starken Einschränkungen zumutbar? Wann sind die wirtschaftlichen Folgen der Begrenzung für die Gesellschaft höher als die gesundheitlichen? Kippt die gesellschaftspolitische Zustimmung zu den jetzt beschlossenen Maßnahmen der Regierungen? Dies besonders, falls die Fallzahlen nicht die prognostizierte Kurve nehmen und dies nicht als Erfolg der konsequenten Maßnahmen bewertet, sondern als alarmistische Übertreibung gestempelt wird.

Die politische Debatte findet in einer Zeit statt, in der die Parteien schon im Aufstellungsmodus für die kommende Bundestagswahl sind. Dies wurde am vergangenen Wochenende besonders bei CDU/CSU spürbar, Hauptkonkurrenten um die Nachfolge im Kanzleramt waren der bayrische Ministerpräsident Markus Söder, der nordrhein-westfälische Armin Laschet und sein Sozius Jens Spahn. Letzterer war klug genug, den Streit um die Ausspähung von Handydaten aus dem Gesetzentwurf für die Novellierung des Infektionsschutzgesetzes herauszunehmen. In der jetzigen Fassung wird die Ermächtigung zeitlich limitiert, Bundestag und Bundesrat können sie per Beschluss beenden. Manche Ermächtigungen sind zu weitgehend, vor allem die Zeit von einem Jahr, DIE LINKE hat sechs Monate gefordert. Aber wenigstens werden die Resultate des jetzigen Vorgehens evaluiert und sind dadurch revidierbar. Der Versuchung, das Grundgesetz zu verändern und ein Notparlament für den Seuchenfall zu verankern, wurde widerstanden.

Letzten Endes vermochte die Kanzlerin in diesem unionsinternen Machtkonflikt die Moderation und Entscheidungskompetenz zu übernehmen. So abgeschrieben, wie es manchmal zu lesen ist, ist sie noch nicht. Die Spekulationen über vorgezogene Neuwahlen zum 20. Bundestag sind mal wieder vom Tisch, zaghaft wird sogar die Frage angerührt, ob Merkel denn nun angesichts der Situation nicht vielleicht unter Umständen doch noch einmal zur Rettung Deutschlands antreten müsste. Mit Blick auf die kommende Bundestagswahl wird die gesellschaftspolitische Lage noch einmal kippeliger und es wird auch stark auf DIE LINKE ankommen, ob sie in der heraufziehenden Wahlkampfzeit in der Lage ist, an Stelle von innerparteilichem Streit und personellem Hickhack nachvollziehbare Angebote und Positionen anzubieten. Es war richtig, die Schuldenbremse auszusetzen, aber die sozialen Belange der Familien müssen stärker berücksichtigt werden. Die Fallpauschalen in den Krankenhäusern gehören abgeschafft und die großen Vermögen müssen an der Finanzierung der Kosten beteiligt werden.

Corona in den Zeiten von Wahlkampf

Im Rückblick auf den politischen Prozess der vergangenen Tage hat sich der Föderalismus in Deutschland – an den viele schnell die zentralstaatliche Axt anlegen wollten – als klug, handlungsfähig und besonnen erwiesen. Nicht nur vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist der Föderalismus in Deutschland eine institutionelle Verschränkung, die sich vollständig bewährt hat. Auch durch die Abstimmung mehrerer Ebenen sind die Diskussionen und Standpunkte vielfältiger und im Ergebnis ist auch die Zustimmung in der Bevölkerung größer geworden als in einem zentralistischen Staat, der schnell an den Punkt kommt, in der Not das Militär zur Kontrolle nach innen aufmarschieren zu lassen, weil die Unterstützung der Bevölkerung wegbricht.

Zum einen nehmen die Menschen einige Tage länger an den Diskussionen teil und wägen das Für und Wider im persönlichen Diskurs miteinander ab. Zum anderen produziert eine größere Anzahl an eingebundenen Stimmberechtigten in unterschiedlichen politischen Ebenen schlicht und einfach einen größeres und nachvollziehbareres Kommunikationsvolumen. Auf der anderen Seite steht ein zentralistischer Landeserlass in Bayern, dessen Befolgung durch ein hohes Strafgeld in Höhe bis zu 25.000 Euro und einen hohen Ordnungsaufwand erzwungen wird. Dies ist altstaatliches Obrigkeitshandeln, das dem heutigen Stand der Demokratie in Deutschland nicht angemessen scheint. Es ist eine große zivile Leistung einer Bevölkerung von 83 Millionen Menschen innerhalb von kurzer Zeit mit einer gesundheitlichen Bedrohung umzugehen, die sie selber bis vor kurzem nur noch aus Berichten und Erzählungen gekannt hat.

Auch wurde seitens der Bundesregierung eine politische Haltung eingenommen, mit der nicht nur die Große Koalition den Kurs im Umgang mit der Corona-Pandemie festlegt. Dies liegt auch an der Vielfältigkeit der Regierungskonstellationen in den Ländern, der Bundesrat muss dem Paket am 27. März zustimmen. Das Handeln von Regierungen und Parlamenten erscheint als positiver Lernschritt und ein Beleg für die Annahme, dass die föderale Demokratie in Deutschland fester verankert ist, als manchmal befürchtet wird. Es ist aus linker politischer Sicht klüger, auf ein hohes Maß an wechselseitiger Anerkennung zwischen Gesellschaft und Staat zu setzen denn auf einseitige Anordnung, die schnell als Unterdrückung und einseitige Herrschaft ausgelegt werden kann.

  1. Hans Kracik

    Werter Gen. Nord,
    Deine Wertschätzung der Föderaration in der BRD im Zusammenhang mit der Corona-Krise ist für mich eine Fehleinschätzung. Die positiven China-Erfahrungen zeigen bessere Ergebnisse. Tagelange Beratungen und Abstimmungen zur Rettung von Menschenleben, statt verbindlich , zeitlich begrenzte Sondermaßnahmen sind in solchen gefährlichen Situationen nicht notwendig.
    Welche Vorteile bestehen in der Föderation allgemein für die Normalbürger ? Das „vorbildliche“ Bildungssystem, der Nahverkehr, Feuerwehr, Rettungsdienst, Gesundheitswesen u.a. sind gute Beispiele der „Vorteile“ der Föderation !

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