In Polen war für den 10. Mai eine Präsidentenwahl anberaumt, bei der Andrzej Duda (PiS) gute Aussichten auf seine Wiederwahl hatte.
Wahlen in Polen
Schwere Schlappe für Kaczynski
In Polen war für den 10. Mai regulär eine Präsidentenwahl anberaumt, sie muss laut Verfassung 75 Tage vor dem regulären Ende seiner Amtszeit begonnen werden. Der amtierende Präsident Andrzej Duda, »Prawo i Sprawiedliwość«, auf Deutsch: »Recht und Gerechtigkeit« (PiS), hatte gute Aussichten auf Wiederwahl und möglicherweise im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit bekommen. Nicht nur deswegen wollte die PiS nach Maßgabe von Jaroslaw Kaczynski trotz der bestehenden Corona-Virus-Einschränkungen des öffentlichen Lebens an dem Wahltermin festhalten. Hiergegen hagelte es vielfache Protest und Widerstand aus Opposition und Zivilgesellschaft.
Eine der Kritiken hob die Chancenungleichheit im Wahlkampf hervor. Der amtierende Präsident Duda ist jeden Tag im Fernsehen in den Wohnstuben allgegenwärtig, den anderen Kandidat*innen für das Amt des Präsidenten sind durch die Corona-Beschränkungen öffentliche Wahlkampfauftritte unmöglich. Einige Bewerber haben ihre Kandidaturen zurückgezogen. Dennoch wollte Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender und Übervater der PiS an dem Termin festhalten. So kam es zu einer ernsthaften innenpolitischen Kraftprobe in Polen.
Aufgrund schwerwiegender rechtlicher und organisatorischer Bedenken erklärte der Vorsitzende der staatlichen Wahlkommission öffentlich, die Durchführung von freien und geheimen Wahlen am 10. Mai sei nicht vollumfänglich möglich. Die ehemaligen Präsidenten Lech Walesa, Alexander Kwasniewski und Bronislaw Komorowski und sechs ehemalige Ministerpräsidenten, darunter der ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk, erklärten öffentlich, dass sie sich an den Wahlen nicht beteiligen werden. In juristischen Fakultäten an polnischen Hochschulen haben 425 Dozenten einen Appell zur Verschiebung der Wahl unterschrieben, weil sie die Wahl auch für juristisch anfechtbar halten. Und das trotz des Justizumbaus, den die PiS schon seit Jahren betreibt.
Um das Infektionsrisiko für die ca. 30 Millionen Wahlberechtigten zu begrenzen, aber auch um das Momentum für den Präsidenten zu nutzen, sollte die Wahl nach Vorstellung der PiS vollständig als Briefwahl durchgeführt werden. Hierfür hat sie kurzfristig ein neues »Briefumschlaggesetz« eingebracht, um dieses Wahlverfahren zu legalisieren. Die regulären Fristen zur Änderung des Wahlgesetzes laufen aber sechs Monate vor der Wahltag aus. Zu diesem Zeitpunkt war die Corona-Pandemie noch nicht in Sicht. Ein Dilemma höherer Naturgewalten, zweifelsohne. Aber die PiS hielt immer noch stur und ohne Verständigung in den beiden Parlamentskammern an ihrem Vorhaben fest, die Wahl am 10. Mai durchzuführen, am Dienstag, den 6. Mai schien dann selbst die Zeit für eine garantierte Rücksendung der Wahlscheine nicht mehr ausreichend.
Die Stimmzettel sollten nun am Wahltag in extra dafür aufgestellten und von einem Sicherheitsdienst bewachten Briefkästen eingeworfen werden. Am Dienstagabend wurde das Wahlgesetz in den Senat eingebracht und mit 50 gegen 35 Stimmen abgelehnt. Entscheidend war die für Donnerstag, den 7. Mai anberaumte Abstimmung im Sejm, immerhin drei Tage vor der Wahl. Zu dieser Abstimmung ist es nicht mehr gekommen, weil die Niederlage und die Blamage zu offensichtlich geworden waren. Die 12 Porozumienie-Abgeordneten und 5 Senatoren um den ehemaligen Vize-Ministerpräsidenten Jaroslaw Gowin haben die Zustimmung verweigert, wodurch die Mehrheit der PiS im Sejm nicht mehr gesichert war. Nebenbei bemerkt ist das Briefumschlaggesetz auch deswegen kurios, weil die PiS vor zwei Jahren die Briefwahl selber mit dem Argument der zu geringen Hürden für Wahlfälschungen abgeschafft hat.
In der Nacht zum Donnerstag wurde eine Einigung erzielt, die Präsidentenwahl findet nicht am 10. Mai statt, damit kann der Oberste Gerichtshof sie am Tag nach der Wahl für ungültig – weil nicht durchgeführt – erklären. Als Ersatz sind aktuell der 24. Mai oder der 12. Juli im Gespräch. Auf der anderen Seite wurde der Widerstand gegen das Briefwahlgesetz aufgegeben. Damit kehrt das Schlaglicht auf das Oberste Gericht zurück, dessen Präsidium die PiS nach Jahren der Auseinandersetzung entlang ihrer nationalreaktionären Vorstellungen neu bestimmen will. Die Amtszeit der nun ausgeschiedenen Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, Malgorzata Gersdorf (2014 bis 2020) waren Jahre des erbitterten Kampfes um die Rechtsstaatlichkeit und um liberale gesellschaftliche Grundregeln nach dem Regierungsantritt der PiS 2015.
Zunächst hat die PiS-Regierung das Rentenalter für Richter von 70 auf 65 Jahre heruntergesetzt. Dies nicht unbedingt aus menschlichen, sondern aus politischen Erwägungen. Man wurde auf einen Schlag eine Menge Richter*innen los, die die PiS als zu bürgerlich, zu liberal oder zu EU-freundlich einstufte. Die Präsidentin weigerte sich, vorzeitig in Ruhestand zu gehen und bestand auf den vollen sechs Jahren ihrer Amtszeit. Im Oktober 2018 kassierte der Europäische Gerichtshof die polnische Altersherabsetzung und ordnete eine unverzügliche Wiedereinsetzung der zwangsverrenteten Richter an. Gersdorf und ihre Kollegen nahmen ihre Arbeit wieder auf und setzten ihre Amtszeiten fort.
Dies war eine schwere Niederlage für die PiS, aber kein Grund, ihre Pläne für den Abbau der Gewaltenteilung aufzugeben. Sie mussten ja nur das reguläre Ende der Amtszeit abwarten. Duda hat nach deren Auslaufen am 30. April 2020 mit Kamil Zaradkiewicz einen PiS-nahen Richter zum geschäftsführenden Präsidenten am Obersten Gericht ernannt. Zaradkiewicz hat daraufhin eine Vollversammlung sämtlicher Richter am Obersten Gericht einberufen, die aus ihrer Mitte fünf Kandidaten für das Amt des Gerichtspräsidenten benennt, von denen der Staatspräsident laut Verfassung den künftigen Gerichtspräsidenten auswählt. Es ist aber unklar, ob ein Präsident, dessen reguläre Amtszeit abgelaufen ist, dies unhinterfragt tun kann. Damit kommt der Zeitplan für den Abschluss des »Justizumbaus« durch die PiS erneut in Bedrängnis.
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