Die Ergebnisse der italienischen Regionalwahlen wurden auch in Brüssel und Berlin mit großer Erleichterung zur Kenntnis genommen.

Regionalwahlen und Referendum in Italien

Regierung bestätigt – Salvini vor dem Sturz?

 

In Italien existiert auf mehreren Ebenen eine starke Verstimmung gegen die Politik der EU und im speziellen auch der Deutschen Bundesregierung, die als verantwortlich für die Unionspolitik betrachtet wird. Sei es die Währungskrise, der Rettungsschirm oder die Haltung der EU bzw. der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik, z.B. als in Lampedusa die italienische Politik an ihre Leistungsgrenzen kam. Diese Stimmung fließt seit längerem auf allen Ebenen in die Wahl von neuen politischen Kräften wie die Fünf Sterne (M5S), aber auch in die Wahl von z.B. der Fratelli d´ Italia, der Lega, ehemals Lega Nord und Forza Italia als immer noch lebendes Geschöpf von Silvio Berlusconi. Aber dieser Prozess knüpft an den innenpolitischen an, in dem die Politik auf vielen gesellschaftlichen Ebenen gründlich in Verruf steht. Seit Jahrzehnten verhallen die Vorwürfe von Korruption oder den immer noch legendären Nachrichten über Berlusconis berühmt-berüchtigte Bunga-Bunga-Partys nicht. Politik und Politiker*innen werden von vielen Italienerinnen und Italienern schlicht und einfach abgrundtief verachtet.

Die Parteienlandschaft in Italien ist seit einigen Jahren in einem starken Umbruch und nach dem zwischenzeitlichen Hoch der Lega mit dem Frontmann Matteo Salvini und seinem Regierungsbündnis mit Luigi di Maio von der Fünf Sterne Partei kam es zu einem Regierungsbruch, weil Salvini nicht nur Innenminister, sondern Ministerpräsident sein wollte. In der Vernebelung des eigenen Machtanspruchs vermutlich sozusagen der direkte Nachfolger von Benito Mussolini, ein Großer unter den Großen. Doch angesichts der drohenden Rückkehr einer neofaschistischen Machtergreifung räsonierten sich die zersplitterten demokratischen Kräfte und verhinderten so Neuwahlen und einen Siegeszug der Lega in den Palazzo Chigi. Guiseppe Conti verteidigte seinen Regierungsvorsitz, aber er ist nicht unangefochten und so steht oftmals – wie in Deutschland vor der Corona-Krise – das Pendel in Richtung vorgezogene Neuwahlen.

Aus diesem Grunde hatten die sechs Regionalwahlen in Italien am 20. September nicht nur die übliche Aufmerksamkeit. Wenn ein Drittel der Regionen eines Landes wählt, wird dies auch immer bundespolitisch aufmerksam verfolgt. In diesem Falle ging es aber auch noch um die Fragen: »Wie stark ist die Zentralregierung?«, »Welche Kraft hat Guiseppe Conte noch?«, »Kann Salvini seine Niederlage aus dem Regierungsbruch im August 2019 wieder ausbügeln?«. Aus EU-politischer Sicht war aber auch die Frage aufgeworfen: »Wie stark ist die anti-europäische Stimmung in Italien wirklich?«, »Hat die Einigung auf den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) von 2021 bis 2027 und die Einigung auf das Programm Next Generation EU (NGEU) diese Stimmung abgeschwächt?« Voraussetzung dieser Einigung war der Positionswechsel von Angela Merkel und der Bundesregierung aus dem Lager der »geizigen Fünf«, die sich vehement gegen die Kompetenz für die EU-Kommission zur gemeinsamen Schuldenaufnahme gewehrt haben in das Lager der »verschwenderischen Zweiundzwanzig«.

Im Mai 2020 machten Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Macron einen Vorschlag für die gemeinsame einmalige Schuldenaufnahme durch die EU-Kommission in Höhe von 500 Milliarden Euro für einen Wiederaufbaufond, um die wirtschaftlichen Folgeschäden der Corona-Pandemie abzuschwächen. Dies ist ein grundlegender und weitreichender Wechsel bisheriger Politik und führt in eine Ermächtigung der EU-Kommission, eigene Kredite aufzunehmen. Diesen Vorstoß nahm EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen auf und erhöhte ihn zu einem Paket von 750 Milliarden Euro. 500 Milliarden als Zuschüsse seitens der EU über Schuldenaufnahme durch die EU-Kommission und 250 Milliarden Euro als Kredite an finanziell klamme Staaten. Wegen der zu erwartenden Schwierigkeiten in der Abstimmung über den Schritt in eine »Schuldenunion« hat sie die Zustimmung an die Zustimmung zum neuen MFR gebunden. Die 27 Staats- und Regierungschefs haben auf dem Gipfel im Juli 2020 nach vier Tagen »eine historische Einigung« erzielt. Die Quoten aus dem Vorschlag von der Leyen wurden dabei lediglich im Verhältnis zwischen Gemeinsamer Schuldenaufnahme und Kreditbewilligung verändert. Es ist nicht mehr 250 Milliarden Euro Kredite und 500 Milliarden Zuschüsse, sondern 360 Milliarden Kredite und 390 Milliarden Zuschüsse. Aus diesem Paket kann Italien auf rund 80 Milliarden Euro als Zuschüsse zum nationalen Haushalt hoffen, vermutlich hat Ministerpräsident Conte bei Twitter von einem »hervorragenden Signal« gesprochen. Rom war erneut gerettet und brauchte wieder nicht den Weg unter den Rettungsschirm antreten.

Anlässlich der italienischen Regionalwahlen am 20. September in Apulien, Venetien, Ligurien; Aostatal, Toskana, Marken und Kampanien gab es Versuche, sich auf Bundesebene für ein einheitliches Bündnisvorgehen der Parteien in den Regionen zu einigen. Aber hierfür waren die politischen Unterschiede in den Regionen und auch der Widerstand gegen ein solches Projekt von Oben zu stark. Es wurde auch in über 1.000 Städten gewählt. Dies ist ein Pluspunkt für den Föderalismus. Im Ergebnis kommt es in der Region Marken zu einem Wechsel in der Regierung, in den anderen wurde mehr oder minder der Status Quo bestätigt. Der in der Presse im Vorfeld befürchtete Rutsch nach rechts ist ausgeblieben. Es wurde insbesondere befürchtet, dass die traditionelle rote Hochburg Toskana an die Rechten fallen könnte. Dies ist ausgeblieben wie bei den vorherigen Wahlen in der Emilia Romagna. Matteo Salvini hat sich mit seiner Vorfeldpositionierung von »7:0 für die Lega« mal wieder als jemand erwiesen, der den Mund erheblich zu voll nimmt. In Venetien hat Luca Zaia das dritte Mal in Folge gewonnen, er gilt parteiintern als potenzieller Herausforderer von Salvini. Nun wird in Italien darüber spekuliert, wie lange sich Salvini noch an der Parteispitze der Lega halten kann.

Die Wahlen wurden Corona-bedingt an zwei Tagen durchgeführt, sie wurden auch als Stimmungstest gegenüber dem Regierungshandeln in der Corona-Krise eingestuft. Italien wurde erheblich von der Pandemie getroffen, die Bilder aus Bergamo sind noch allen frisch im Gedächtnis. Trotz der schlimmen Auswirkungen der Pandemie ist die Regierung Conte durch das Ergebnis gestärkt, die Italienerinnen und Italiener haben eine rationale politische Entscheidung getroffen und das ist vielleicht das hoffnungsvollste Zeichen in diesen Zeiten. Die Ergebnisse wurden auch in Brüssel und Berlin mit großer Erleichterung zur Kenntnis genommen. Ein erneuter Wahlkampf in Italien hätte nicht nur für die laufende deutsche EU-Ratspräsidentschaft einen starken Einschlag bedeutet, sondern den gesamten weiteren Prozess der noch nötigen nationalen Zustimmungen zum MFR und NGEU gelähmt. Des Weiteren wurde in Italien in einem Referendum über die Begrenzung der Parlamentsgröße abgestimmt, knapp siebzig Prozent der abgegebenen Stimmen waren dafür, das Parlament von 945 Sitzen auf 600 Mandate zu verkleinern. Dies war ein Triumph für die Fünf-Sterne-Partei, die den Prozess angestoßen hat, als sie noch eine junge Bewegung war.