Während das United Kingdom dem EU-Austritt entgegengeht, wurden Albanien und Nordmazedonien weitere Fortschritte in ihren EU-Beitrittsbemühungen attestiert.

EU-Erweiterung auf dem Balkan

Nordmazedonien und Albanien dürfen ein Feld vorrücken

 

Derweil in dieser parlame ntarischen Woche alle auf die Ergebnisse und Ereignisse der US-Wahl und den Tag danach geschaut haben, gab es doch auch eine Menge anderer interessanter Dinge. Der Übergangszeitraum für den Brexit endet formal zwar erst am 31.12.2020, aber Boris Johnson hatte doch für Ende Oktober mit einem Abbruch der Verhandlungen gedroht. Diese Drohung ist vermutlich unter der Last der Corona-Epidemie im Vereinigten Königreich untergegangen. Der konservative Premierminister Boris Johnson hat angesichts der realen Ereignisse einen scharfen Lock-Down für das Land beschlossen. Last Call für länger in allen britischen Pubs.

Wieder einmal ist es Nigel Farage, der sich darüber aufregt. In der vergangenen Woche war er Gast bei einem Wahlkampfauftritt von Donald Trump in den USA. Jetzt will er seine aus der United Kingdom Independence Partei (UKIP) in Brexit-Partei umbenannte Partei eine erneute Wendung geben. Der Name soll nun in Reform-UK-Partei verändert werden, um ein Instrument in die Hand zu bekommen, mit dem er an erster Stelle gegen die von der Johnson-Regierung verkündeten Maßnahmen in den politischen Kampf ziehen kann. Vermutlich könnte er so argumentieren: Wäre der Brexit schon vollständig vollzogen gewesen und hätte das UK schon seine volle Souveränität von der Europäischen Union zurückgehabt, hätte man dem Corona-Virus die Einreise sicher vollständig verbieten können.

Derweil das United Kingdom dem Austritt aus der EU entgegengeht, wird dort an der weiteren Umsetzung des Thessaloniki-Versprechens von 2003 gearbeitet, mit dem eine EU-Mitgliedschaftsperspektive für den gesamten Balkan eröffnet wurde. In der Abwägung der ablehnenden wirtschaftlichen und finanziellen Kritiken an einer weiteren Aufnahme von Balkanstaaten in die EU hat derzeit das geopolitische Argument wieder Vorrang bekommen. Die Befürchtungen, Russland mit seinen traditionell guten Beziehungen zu Serbien, Türkei mit ihren Ansprüchen nach Zypern und China mit seinen Vorstößen zur Neuen Seidenstraße könnten über die Region weiter nach Zentral- bzw. West-Europa vordringen, werden angesichts der realen machtpolitischen Verschiebungen und der damit einhergehenden Erschütterungen von politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Stabilität – wie z.B. derzeit im Mittelmeer und den Anrainerstaaten oder mit Blick auf den Brexit und der damit einhergehenden Schwächung des Vereinigten Königreiches in HongKong zu beobachten – höher gewertet.

Der Europäische Rat hatte am 25. März 2020 die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien beschlossen, am 1. Juli hatte die Europäische Kommission ihre Entwürfe für den Verhandlungsrahmen mit Albanien und Nordmazedonien vorgelegt. Die Verhandlungsrahmen verfolgen schon den neuen Ansatz zur Aufnahme von Staaten, die nach der Kritik des französischen Präsidenten Emmanuel Macron beschlossen wurde. Nun sollen auch bereits erreichte Fortschritte wieder hinterfragt werden können und angezweifelt, wenn es dafür Anzeichen gibt. Damit ist der Erweiterungsautomatismus gestoppt. Für die Zurückstellung der Eröffnung oder Revision erreichter Schritte bzw. des Abschlusses von Erweiterungskapiteln bedarf es einer umgekehrten qualifizierten Mehrheit im Rat. Gemäß dem Verfahren der umgekehrten qualifizierten Mehrheit gilt eine Empfehlung der Kommission als angenommen, wenn der Rat nicht mit qualifizierter Mehrheit beschließt, die Empfehlung innerhalb einer »bestimmten Frist« abzulehnen. Das bedeutet im praktischen, ein Mitgliedstaat, der die Empfehlung ablehnen will, muss aktiv werden und eine qualifizierte Mehrheit gegen den Ratsbeschluss organisieren. Sie beginnt am Tag, an dem die Kommission die Empfehlung ausspricht. Momentan ist die Fristbestimmung mit einem Zeitraum von 90 Tagen angesetzt, dies ist manchen Mitgliedstaaten jedoch zu lang.

Am 6. Oktober hat die Kommission ihre Erweiterungsberichte 2020 vorgelegt, mit denen sie Albanien und Nordmazedonien weitere Fortschritte in ihren Bemühungen bestätigt. Dennoch wird z.B. eine weitere Anstrengung im Kampf gegen die Korruption in vielen Bereichen eingefordert. Eine weitere Maßnahme zur Begleitung der Aufnahmeverhandlungen ist die Vorlage eines Wirtschafts- und Investitionsplans für den West-Balkan in Höhe von 9 Milliarden Euro und Investitionen in Höhe von 20 Milliarden Euro für die kommenden 10 Jahre. Diese Gelder werden mit einem Schwerpunkt für die physische und digitale Infrastruktur gewidmet. Angesichts der 1,8 Billionen Euro, die die EU gerade für den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 und das Projekt Next Generation EU verhandelt, reibt man sich die Augen vor so viel optimistischer Großzügigkeit gegenüber den potenziellen Mitgliedstaaten.

Am 10. November sollen die Verhandlungsrahmen der Kommission auf dem Rat für Allgemeine Angelegenheiten (RfAA) behandelt werden. Ein Ziel ist es, noch in diesem Jahr zu einer ersten deutsch-nordmazedonischen Regierungskonferenz zu kommen. Für Albanien liegen die Hürden höher, hier wird die erste Konferenz z.B. noch an die Umsetzung einer Wahlrechts- und einer Justizreform gebunden. Dennoch lässt sich sagen, dass beide Staaten im Beitrittsverfahren ein Feld nach vorne rücken dürfen.