Im Anspruch weder links noch rechts, im Ergebnis gescheitert – ein Blick auf die Fünf-Sterne-Bewegung.
Italien in Bewegung
Aufbaupläne für Italien
Die Währungskrise und die Frage, ob Italien unter den Rettungsschirm muss, sind nie vollständig abgeklungen und die Corona-Pandemie hat Italien besonders früh und stark getroffen. Bis Ende April wurde in Italien hart um einen Milliarden-Aufbauplan gerungen, der zu einem großen Teil aus EU-Mitteln finanziert wird. Eine erst kurz vor der Abstimmung vorgelegte Schlussfassung haben Senat und Abgeordnetenkammer nicht davon abgehalten, bei einiger inhaltlicher Kritik am Plan und größerer Kritik am Verfahren zuzustimmen.
Der neue Premierminister Mario Draghi bedankte sich bei allen Abgeordneten für die Zustimmung, er hat sein erstes Ziel nach der Regierungsübernahme erreicht. Mit den 250 Milliarden, von denen rund 190 aus dem EU-Topf „Next Generation EU“ kommen, sollen die nächsten fünf Jahre Italien modernisiert und ökologisch erneuert werden. Nun muss die EU zustimmen, damit das Geld ab Juni wirklich fließen kann.
Auch die parteipolitische Gemengelage in Italien ist weiter im Fluss. Draghi war im Februar 2021 über die Bildung einer Vielparteien-Regierung ins Amt gekommen, was untrügerischer Ausdruck für die politische Not des Landes ist. Die Fünf-Sterne-Bewegung stellt darin die größte Fraktion. Die vorherige Koalition unter Leitung von Guiseppe Conte ist über den Streit um die Verwendung der Corona-Hilfen zerbrochen. Es war der zweite Regierungsbruch seit September 2019.
In der Folge des Wahlergebnis von März 2018, die Fünf Sterne waren mit 32,68% auf dem Zenit ihrer Entwicklung angekommen und die Lega hatte mit 17,3% ein Plus von über 12% erzielt, wurde eine Koalition aus Fünf Sterne und Lega geschlossen. Aber beide Spitzenkandidaten, weder Di Maio noch Salvini, waren für das Amt des Ministerpräsidenten geeignet und so wurde der parteilose Rechtsprofessor Guiseppe Conte als gemeinsamer Kandidat präsentiert.
Nach Contes Amtsantritt im Juni 2018 übernahm Salvini in seiner Funktion als Innenminister die öffentliche Pole-Position, viele Wähler:innen der Fünf Sterne wendeten sich auf Grund des Rechtsbündnisses ab und Fünf-Sterne stürzte von 33% auf 17% ab, derweil die Lega von 17% auf 33% hochschnellte. Das selbsterklärte Ziel der Cinque Stelle, weder rechts noch links zu sein, war damit hinfällig. Durch seinen Aufstieg in den Umfragewerten brach Salvini im August 2019 das Regierungsbündnis mit der Zielstellung, nach vorgezogenen Wahlen selber Ministerpräsident zu werden.
Doch er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, in diesem Falle Sergio Matarella, den Staatspräsidenten. Um Salvini im Palazzo Chigi zu verhindern, wurde noch im August eine Anti-Lega-Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung, Sozialdemokraten, Italia Viva und Liberi e Uguali gegründet. Conte blieb Ministerpräsident und bildete das Kabinett Conte II, obwohl Fünf Sterne und Sozialdemokraten vorher jegliche Zusammenarbeit kategorisch ausgeschlossen hatten. Im Januar 2020 trat Luigi di Maio vom Vorsitz bei den Fünf-Sternen zurück, um die Chancen bei zwei Regionalwahlen zu erhöhen, blieb aber Außenminister. Seitdem hat Fünf-Sterne mit Vito Crimi nur eine farblose kommissarische Leitung.
Der vormalige Ministerpräsident Matteo Renzi hatte die Kleinpartei Italia Viva von der PD abgespalten, war deren Vorsitzender geworden und brach nun die Regierungskoalition, weil er selbstvermessen das Beispiel Emmanuel Macron in Frankreich wiederholen wollte. Aber auch er scheiterte grandios an seiner Vollmundigkeit. Nach einigen Volten reichte der parteilose Conte im Januar 2021 seinen Rücktritt ein und ebnete den Weg zur Regierungsübernahme durch den ehemaligen EZB-Chef Mario Draghi. Im nächsten Schritt trat der parteilose Conte vor Ostern in die Fünf-Sterne-Partei ein. Trotz der intern umstrittenen Koalition zuerst mit der rechten Lega, dann der Sozialdemokratie und nun Mario Draghi steht M5S in Umfragen immer noch bei rund 17%. Conte will sie neu aufstellen und für die kommenden Wahlen neu ausrichten, weil 17% nahezu 125 Mandaten in der Abgeordnetenkammer entsprechen.
Conte stellte ein neues inhaltliches und organisatorisches Programm für Mai in Aussicht, das aber bislang wegen internen Streitpunkten nicht stattfand. So hat er lediglich am 9. Mai, dem Europa-Tag, fünf allgemeine Themenpunkte benannt. Die Fünf-Sterne-Bewegung soll ihren Bewegungscharakter endgültig überwinden und in eine ordentliche Offline-Partei mit Mitgliederverankerung in der breiten Gesellschaft und festen Büros in Rom und den Regionen umgebaut werden. Aber dies steht dem Ausgangspunkt der Fünf-Sterne-Bewegung diametral entgegen. Ende April kam es zum Bruch mit den Betreibern der Online-Plattform »Associazione Rousseau«, die das digitale Rückgrat des Blogs von Beppe Grillo und der Grillini war.
Es geht neben einer inhaltlichen Debatte um die Frage der Direkten Demokratie durch Online-Formate und die Aufnahme von Bewegungen und ihren Inhalten oder klassische politische Partei auch um eine offene Rechnung in Höhe von ca. 450.000 Euro. Nur 53 von 240 Parlamentariern zahlen die vereinbarten Beiträge, so der Vorwurf von »Rousseau«, die Conte nicht als neuen Vorsitzenden anerkennen. Conte hat nun die Internetfirma der Online-Plattform und seinen Inhaber Davide Casaleggio aufgefordert, die Adressen der verbliebenen 130.000 eingeschriebenen und verbliebenen Mitglieder auszuhändigen. Danach wäre man bereit, die ausstehende Summe zu begleichen. Doch es wird auch spekuliert, ob Casaleggio mit den Daten eine eigene Bewegung oder gar Partei aufmacht. Sie haben immerhin das Potenzial zu 17% bei nationalen Wahlen.
Als zweite schwere Bürde kommt eines der berühmten Wut-Videos von Grillo hinzu. Seinem Sohn Ciro wird vorgeworfen, mit drei weiteren Männern an einer Gruppenvergewaltigung in der Villa seines Vaters beteiligt gewesen zu sein. Grillo hat in dem Video öffentlich die Frau als Täterin angegriffen, die seinen Sohn und damit ihn und seine Bewegung schädigen wolle. Das hat selbst unter den nächsten Verbündeten von Grillo für Entsetzen gesorgt und die aufgeheizte Bewegung weiter polarisiert. Über die verschiedenen Streitigkeiten wird die Frage laut, wie lange sich die Fünf-Sterne-Fraktion im Parlament hält. Es könnte also sein, dass Italien einen weiteren Aufbauplan benötigt, denn es ist nicht klar, auf welche Parteien oder neue Bewegungen sich die 17% für M5S im Falle des Scheiterns von Conte aufteilen. Die nächste reguläre Wahl findet spätestens im Mai 2023 statt.
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