Der neue Artikel von Thomas Nord für den Bundestagsreport der Landesgruppe Brandenburg beschäftigt sich mit der Lage der EU vor dem Frühjahrsgipfel:
Frühjahrsgipfel der EU
Nicht so laut ins Horn blasen
Kurz vor der Wiederwahl von Angela Merkel zur Kanzlerin räumte sie ein, dass der Aufwand für ihre nunmehr vierte Wiederwahl so groß war, dass die Ausgestaltung der inhaltlichen Politik auf Europäischer Ebene dadurch brach liegen geblieben ist. Sie konnte keine gemeinsamen Vorschläge mit Frankreich für den kommenden EU-Gipfel am 22. und 23. März für die Reform der Euro-Zone präsentieren. Eine Vorstellung erster Vorschläge ist nun auf Juni verschoben. Deshalb handelte es sich bei dem Besuch von ihr am vergangenen Freitag in erster Linie um einen symbolischen Besuch, der demonstrierte, dass Frankreich der wichtigste Partner Deutschlands in der EU ist. Neben Merkel sind der neue Außenminister Heiko Maas und der neue Finanzminister Olaf Scholz zu einem Antrittsbesuch nach Paris geflogen.
Wenige Tage nach der Antrittsreise beim französischen Präsidenten Macron in der vergangenen Woche ist die Kanzlerin zu Beginn dieser Woche nach Warschau geflogen. Auch der Justizminister war am Freitag in Polen. Der Regierungssprecher Steffen Seibert wies als Begründung dieser Reise auf den hohen Stellenwert des deutsch-polnischen Verhältnisses hin. Er hätte genauso auf den hohen Dissens in den deutsch-polnischen-Verhältnissen hinweisen können. Aber unbenommen ist die politische Abstimmung der deutschen Regierung mit Polen und Frankreich eine notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche EU-Politik. Merkel traf Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und Präsident Andrzej Duda.
Seit der Regierungsübernahme durch die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sind die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland angespannt. Nicht nur in der Flüchtlingspolitik vertreten beide Länder stark unterschiedliche Ansichten. Gemeinsam mit Ungarn und Tschechien lehnt Polen die Aufnahme von Flüchtlingen zur Entlastung anderer EU-Staaten ab. Die EU-Kommission hat deswegen eine Klage gegen drei von vier Visegrad-Staaten eingeleitet. Die Bundesregierung sieht auch die Justizreform durch die PiS-Regierung kritisch. Es kann darin ein Abbau von Gewaltenteilung erkannt werden, der doch ein wesentliches Grundelement demokratischer Verfassungen ist. Die EU-Kommission hat auch deswegen ein Verfahren eingeleitet, an dessen Ende ein Stimmentzug Polens im EU-Rat stehen könnte.
Ein weiterer Dissens liegt in der gerade begonnenen Diskussion über den zukünftigen Mehrjährigen Finanzrahmen der EU von 2020 bis 2027. Die deutsche Regierung favorisiert eine Position, in der die Auszahlung von EU-Fördergeldern an die Erfüllung von politischen Bedingungen geknüpft wird. Technisch heißt dies Makroökonomische Konditionalisierung. Auf dem EU-Sondergipfel im Februar hatte der polnische Europaminister Konrad Szymanski diesen Vorstoß als einen schweren Fehler gewertet. Die polnische Regierung drohte für den Fall des Beschlusses dieser Position mit weitreichenden Folgen für die Einheit der EU. Frankreichs Präsident Macron hingegen fordert finanzielle Bestrafung für den Fall, dass rechtsstaatliche Prinzipien nicht eingehalten werden.
Mit beiden Reisen hat die Bundesregierung auch an das 1991 begründete Format des Weimarer Dreiecks aus Frankreich, Polen und Deutschland erinnert, dass dringend wiederbelebt werden sollte. Nicht nur auf Regierungsebene, sondern auch auf parlamentarischer. Regelmäßige EU-Ausschusssitzungen im Format des Weimarer Dreiecks könnten eine Hilfe in diesen schwierigen Zeiten sein. Ohne die permanente Verständigung auf mehreren Ebenen zwischen Frankreich, Polen und Deutschland werden die Gegensätze zwischen West- und Osteuropa auf Dauer nicht auszugleichen sein. Sie über eine einseitige Machtpolitik lösen zu wollen, wird zum Scheitern führen.
Die Präsentation der Vorschläge für eine Reform der Euro-Zone ist auf den Sommer geschoben. Der Aquis Communautaire, oder gemeinsame Rechtsbestand der EU ist innenpolitisch durch die Justizreform z.B. in Polen und Ungarn umstritten. Die Differenz der Flüchtlingsfrage steht exemplarisch für die Frage nationale Souveränität oder unionale Durchgriffsrechte, hier wird ein Hegemonialstreit ausgetragen. Dieser Streit wird auch über die Frage der Makroökonomischen Konditionalitäten im Neuen Mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 ausgetragen. Brüssel möchte einen Hebel etablieren, um die Mitgliedsstaaten effektiv an ihre eingegangenen Pflichten erinnern zu können. Es ist auch ein Werkzeug für den Weg zu einer immer engeren Union, an dessen Ende eine politisch souveräne Union entstehen soll.
Die Ablehnung des Ziels einer »ever closer Union« (Artikel 1 EUV) war das tragende Argument der »Leave«-Kampagne bei der Abstimmung 2016 im Vereinten Königreich (VK) über den Verbleib in der EU. Die weiteren Schritte des Austritts des VK sind ein zentraler Tagesordnungspunkt auf dem Frühjahrsgipfel. Auch hier gibt es einen hohen Abstimmungsbedarf zwischen Berlin und Warschau. Denn wenn das Vereinte Königreich austritt, fällt die Arbeitnehmerfreizügigkeit weg, die für die polnische Wirtschaft und die polnischen Saisonarbeitenden eine große Bedeutung hat. Polen stellt nach Indien die zweitgrößte Einwanderungsgruppe im Vereinten Königreich. Im Mikrozensus von 2013 nannten 550.000 Menschen polnisch als ihre Muttersprache. Wohin werden sie gehen?
Zu den beschriebenen innenpolitischen Fragen kommt ein weiterer Temperaturanstieg bei den außenpolitischen Themen. Nach den politischen Unruhen in der EU-Nachbarschaft durch den Arabischen Frühling seit 2011 und seinen Niedergang wurde deutlich, welche Folgen die Kriege im Nahen Osten für Europa haben können. Durch den Assoziierungskonflikt um die Ukraine und die Angliederung der Krim an Russland durch Moskau seit 2014 wurde mit der darauf folgenden Sanktions- oder Strafspirale an die eingeübte Ost-West-Gegnerschaft aus dem Kalten Krieg angeknüpft.
Seit der Wahl von Donald Trump zum 45. US-Präsidenten im November 2016 steht das transatlantische Bündnis in einer bisher nicht gekannten Herausforderung. Merkel sagte letztes Jahr, dass die USA nicht mehr in jeder Situation eine verlässliche Partnerin sind. Der ehemalige Außenminister Gabriel hat im Dezember davon gesprochen, dass die USA einmal Gegnerin sein könnten und als Konsequenz daraus ein eigenständiges europäisches Machtprojekt gefordert. Es wird bereits mit der geplanten Ständigen Strukturellen Zusammenarbeit (SSZ) als eine Europäische Militärpolitik schrittweise realisiert. Begleitend dazu wird nun auch handelspolitisch zwischen EU und USA über Strafzölle und Sanktionen gesprochen.
Aus linker Sicht muss man momentan alles dafür tun, um der Versuchung zu widerstehen, für den in der Krise stehenden Einigungsprozess der EU die außenpolitische Tonalität weiter zuzuspitzen, um die innenpolitischen Differenzen zu übertönen. Das Wechselspiel von Krieg und Krise hat schon zu oft in eine schnelle und hohe Konfliktdynamik geführt, in der man keinen anderen Ausweg mehr sah, als mit zittrigen Fingern und voller Lunge das Horn zum Angriff zu blasen.
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