Am Ende der Verhandlungen über den »Mehrjährigen Finanzrahmen« wollen Ungarn und Polen dem Eigenmittelbeschluss im Rat nicht zustimmen.

EU-Eigenmittelbeschluss

Erneute Machtprobe in Brüssel

 

Der Eigenmittelbeschluss ist die Rechtsgrundlage für die Einnahmequellen des EU-Haushalts und steht am Ende der Verhandlungen über den »Mehrjährigen Finanzrahmen« (MFR). Im Unterschied zum vorhergehenden MFR der Jahre 2014 bis 2020 soll der neue Eigenmittelbeschluss für die Jahre 2021 bis 2027 auch die Rechtsgrundlage für die Aufnahme von Krediten auf den Finanzmärkten durch die EU-Kommission umfassen, mit denen das Aufbauinstrument »Next Generation EU« (NGEU) zur Überwindung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie finanziert werden soll.

Der neue MFR und NGEU haben einen Gesamtumfang in Höhe von rund 1,8 Billionen Euro, davon rund 1.050 Milliarden Euro für den MFR und 750 Milliarden für NGEU. Diese wiederum teilen sich in 360 Milliarden durch die Empfängerstaaten rückzahlbare Kredite und 390 Milliarden Finanzhilfen. Vom Europäischen Parlament wurde das Gesamtpaket bereits in der Mitte September beschlossen. Damit es jedoch in Kraft treten kann, muss auch der Europäische Rat dem Beschluss einstimmig zustimmen. Erst danach geht er in die 27 Mitgliedstaaten, die ebenfalls nach ihren jeweiligen Länderregelungen zustimmen müssen, damit der Beschluss spätestens am 1. Januar 2021 in Kraft treten kann. In Deutschland muss der Bundestag zustimmen.

Der einstimmige Beschluss im Europäischen Rat wird durch die Verabschiedung des neuen Rechtsstaatsmechanismus durch die Regierungen in Warschau und Budapest in Frage gestellt. Dabei geht es um die Möglichkeit von finanziellen Sanktionen im EU-Haushaltsbereich für den Fall, dass ein Mitgliedsstaat erkennbar gegen die in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) genannten Werte wie Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit, Rechtstaatlichkeit und Minderheitenrechte verstößt.

Bislang blieb nach der Aufnahme in die EU gegen Verstöße oder den Verdacht von Verstößen z.B. im Justiz- oder Medienbereich nach Vertrag von Lissabon nur das Verfahren nach Art. 7 EUV zur Verfügung. Aktuell sind Verfahren gegen Ungarn und Polen in Gang gesetzt, die aber bislang keine Resultate im Sinne des Artikels 2 gebracht haben. Deshalb wurde Anfang November zwischen Parlament und Europäischem Rat ein weiteres Instrument beschlossen. Die EU-Kommission kann nun vorschlagen, ein EU-Land wegen Verstößen zu sanktionieren. Das müssen die Mitgliedstaaten mit einer qualifizierten Mehrheit bestätigen, aus heutiger Sicht mindestens 15 EU-Länder, die zugleich wenigstens 65 Prozent der EU-Bevölkerung abbilden.

Die Regierungschefs von Ungarn und Polen hatten hingegen einen einstimmigen Beschluss für den Mechanismus gefordert, sind jedoch unterlegen. Denn es ist ja klar, dass weder die ungarische noch die polnische Regierung der In-Kraft-Setzung von Sanktionen gegen sie jemals zustimmen würden. Mit der qualifizierten Mehrheitsentscheidung können Ungarn und Polen das nun nicht mehr verhindern. Deshalb haben die Ministerpräsidenten Morawiecki und Orban ihren Widerstand am Montag dieser Woche in die Beratungen über den Eigenmittelbeschluss getragen.

Ungarn und Polen wollen dem Beschluss im Rat nicht zustimmen. Damit kann der MFR, aber auch das Corona-Paket NGEU nicht aktiviert werden. Weil aber ein einstimmiger Beschluss notwendig ist, haben beide Regierungen hier eine Möglichkeit zu einer langfristigen Blockade, die ihnen perspektivisch selbst finanziell schaden würde. Aber in beiden Staaten ist seitens der Regierungsparteien die innenpolitische Kommunikation auf die Frage: nationalstaatliche Souveränität oder Rückkehr in eine »europäische Sowjetunion« zugespitzt. Kann man ja machen so einen Unsinn, aber es sagt doch mehr über die Regierung des jeweiligen Landes und die sie tragenden Kräfte aus als über die Europäische Union.

Tags darauf hat unter Leitung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine Pendel- und Krisendiplomatie eingesetzt in dem Bestreben, eine möglichst baldige Lösung herbeizuführen. Mittwoch und Donnerstag waren auf oberster Ebene der Staats- und Regierungschefs Videokonferenzen anberaumt. Diese waren bei Redaktionsschluss noch nicht zu Ende.

Aus der EU-Bürokratie verlautete die Einschätzung, dass man sich in einer ernsthaften Krise befände. Vertreter der ungarischen und der polnischen Regierung betonten, wenn sie in dieser Situation einfach zustimmen würden, bräuchten sie sich in ihren Ländern nicht mehr sehen zu lassen. Die polnische Seite hat sich inoffiziell verhandlungsbereiter gezeigt als die ungarische.

Aus linker Sicht ist es politisch richtig, einen Rechtsstaatsmechanismus in Gang zu setzen, der selbst einem rechtsstaatlichen Verfahren folgt und zu einem Eigenmittelbeschluss über MFR und NGEU zu kommen, der den Finanzrahmen für die kommenden sieben Jahre regelt und hilft, die Folgen der Corona-Pandemie abzufedern. Es ist auch richtig, der EU-Kommission in dieser Situation die einmalige Kompetenz zu einer Kreditaufnahme zu geben.