Sechs Wochen vor der Wahl zum Europäischen Parlament hat die Linke allen Grund, mutiger in die Kämpfe zu ziehen.
Wahl zum Europäischen Parlament
Neuer Wind für die Europäische Linke
Sechs Wochen vor der Wahl zum Europäischen Parlament ist die politische Lage unruhig und erscheint chaotisch. In Frankreich scheinen die Proteste der Gelbwesten abzuflauen. Aber vielleicht ist es nur ein kurzes Luft holen nach 21 Samstagen seit November 2018, an denen sich die Gilets Jaunes in Frankreich das erste Mal manifestiert haben. Es wird auf das politische Können von Emmanuel Macron ankommen und seine weitere Handlungsweise im Zusammenhang mit der Großen Debatte, die er vor zwei Monaten als Reaktion auf die Proteste gegen seine Politik eröffnet hatte.
Die zehn Milliarden Sozialversprechen, mit deren Umsetzung er den Verstoß gegen das erste Maastricht Kriterium für das Jahr 2019 begründet, waren den Gilets Jaunes nicht genug. So steht Macron vor der nächsten starken Herausforderung und es wird allgemein erwartet, dass er seine Schlussfolgerungen aus der Großen Debatte erst nach der Europawahl vorstellen wird, um sich über die Zeit des Wahlkampfs zu retten. Doch dies ist keine risikolose Taktik, denn es die Geduld im Volke ist nicht weit vom Siedepunkt und dann kann sich das Abflauen sehr schnell als ein kurzes Luft holen erweisen, um in einen zweiten Protestzyklus der Gilets Jaunes einzutreten. Die neoliberalen Kräfte stehen nicht nur in Frankreich gehörig unter Dampf und das Feuer unter dem Kessel ist nicht aus.
FPÖ und Identitäre Bewegung
Von dem zweiten neoliberal-konservativen Jungstar in Europa ist nicht mehr viel zu hören. Der österreichische Theodor Guttenberg, Sebastian Kurz, ist nach einer kurzen Euphorie verblasst und kann kaum mehr die Agenda der Regierung setzen. Hans-Christian Strache von der FPÖ bekommt derzeit die höhere Aufmerksamkeit, nicht zuletzt durch die Verbindungen der FPÖ mit der Identitären Bewegung. Als ein geistiger Kopf der Identitären Bewegung wird öfters der Name Martin Sellner genannt. Letztens kam er in die Schlagzeilen durch eine Hausdurchsuchung. Die Razzia bei Sellner wurde angeordnet, weil der Attentäter von Christchurch in Neuseeland ihm Geld überwiesen haben und in seinem Text, mit dem er den Amoklauf in zwei Moscheen begründet hat, soll er auf ihn verwiesen haben. Doch der FPÖ scheint die Verbindung zu den Identitäten im Zuspruch nicht zu schaden.
Strache hat sich vor wenigen Tagen erneut mit dem italienischen Innenminister getroffen, um über den Bau einer Rechtsaußen Fraktion im neuen Europäischen Parlament zu sprechen. Auch Jörg Meuthen von der AfD, der als ein Nachfolger von Alexander Gauland gilt, hat dort mediensuchend den Handschlag mit Salvini erneuert. Es erscheint als eine Neuauflage der Aktion »Patriotischer Frühling« von 2017, die weit unter ihren eigenen Erwartungen blieb. Viele der anderen Eingeladenen kamen nicht, weder die Vertreter der Visegrad-Staaten, noch die niederländische PvV unter Geert Wilders, noch die Vertreter der spanischen Vox, die am 28. April bei den vorgezogenen Neuwahlen auf einen Überraschungserfolg hoffen oder Marine le Pen vom ehemaligen Front National, heute Rassemblement Nationale. Ihnen scheint die distanzlose Nähe suspekt, an einem Vorbehalt gegen die rassistische Parole der »Weißen Vorherrschaft« liegt es nicht.
»Salve Salvini« abgewatscht
Salvini gilt in der bürgerlichen Presse im Moment als die Modefigur der Rechtsextremen Marke. Bei der letzten Wahl in Italien ist die eher linke Bewegungspartei Fünf Sterne auf über 30% gekommen, die erstmals italienweit antretende Lega, vormals Lega Nord kam auf gut die Hälfte. Doch Luigi di Maio von Cinque Stelle ist politisch blass geblieben. Der Ministerpräsident Conte ist nur ein Platzwarmhalter und Matteo Salvini lässt keine Gelegenheit aus, sich rassistisch und nationalistisch zu positionieren. Ergebnis ist eine Umkehrung der Kräfteverhältnisse zwischen Fünf Sterne und Lega, was sich zunächst nur in Umfragewerten abgezeichnet, nun bei Regionalwahlen in Abruzzen und Sardinien bestätigt hat. Die Lega befürwortet z.B. Prämien für Kommunen, die keine Flüchtlinge mehr aufnehmen.
Weitere Regionalwahlen in Piemont und die Europawahl stehen vor der Tür. Anfängliche Spekulationen über einen inszenierten Koalitionsbruch in Italien haben sich dahin gewandelt, dass Salvini nun auf Zeit, weiteren Zuwachs und Seriosität setzt, um am Ende der Wahlperiode vielleicht sogar eine eigene Mehrheit zu bekommen. So sind die Blütenträume derzeit in Rom, sie werden durch Muskelspiele gegen die Europäische Kommission und deren Präsident befeuert. Durch politische Scharmützel gegen Macron und Merkel. Das bringt ihm bei seinen Anhängern Applaus wie Donald J. Trump mit seinen Mauereskapaden gegen Mexiko.
Internationale oder Nationale
Mit diesem Hintergrund hat Salvini zu einem Treffen der rechtsextremen Kräfte eingeladen, um im Einklang mit dem ehemaligen Trump-Berater Steven Bannon eine gemeinsame Superfraktion nach der EP-Wahl vorzubereiten. Aber es sind der Einladung nicht so viele Parteien gefolgt, wie von den Rechten erhofft. Außerdem haben sich schnell die alten Bruchlinien der jetzigen drei Rechtsaußen Fraktionen im Europäischen Parlament gezeigt. Arthur Schopenhauer prognostizierte einmal, das ein gewöhnlicher Kopf ungewöhnliche Gedanken trägt sei so wahrscheinlich wie eine Eiche, auf der Aprikosen wachsen. Nationalisten sind Nationalisten und darin liegen der Kern des gegenseitigen Misstrauens und der Keim ihrer Gegnerschaft. Der Begriff der Politischen liegt ihnen in der Unterscheidung zwischen Freund und Feind.
Anders ist es mit der Linken, sie hat den Internationalismus als Grundgedanken in ihrer Grundstruktur eingewebt. Aus diesem Grunde könnte es ihr deutlich einfacher sein zu einer europäischen Zusammenarbeit zu kommen. Aber auch sie sind auf Grund der Unterschiedlichkeit ihrer Geschichte zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gekommen. In der Gegenwart jedoch haben sich Wirtschaft und Kapital nicht nur globalisiert, sondern eben auch europäisiert und werden es auch in Zukunft weiter tun. Der Euro ist eine konkrete Erscheinungsform. Die nationalen Regierungen in der damaligen EU wollten diesen Schritt nicht gehen und nicht zuletzt aus diesem Grunde steckt die heutige EU in der Situation einer starken Asymmetrie zwischen Finanzen, Wirtschaft und Politik.
Ein Grund für die damalige Entscheidung der nationalen Regierungen lag möglicher Weise auch in der Überforderung, die durch den Zusammenbruch des Realsozialismus und den anschließenden EU-Osterweiterungen von 2004 und 2007 eingetreten ist. In der Abwägung der Strategien, den Euro und die EU zu zerschlagen, um zu einer nationalen Souveränität (mit nationaler Währung) zurückzukehren oder die Kräfte der Arbeit europäisch zu organisieren und zu stärken, um dem Kapital mehr abzutrotzen, ist der letztere der Fortschrittlichere. Nicht die Union ist der dialektische Gegensatz der Linken, sondern das Kapital.
Die Europäische Linke hat für den Wahlkampf eine gute Kampagne aufgelegt. Aber sie darf bei dem jetzigen Stand nicht stehenbleiben, sondern kann ihre Zusammenarbeit mit einer gemeinsamen kommunikativen und politischen Linie stärken und ausbauen. Ihre Linie lautet daher heute nicht mehr, die EU aufzulösen, sondern in ihr für mehr soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung, ökologische Erneuerung und die Erhaltung des Friedens zu kämpfen. Das ist die richtige Antwort auf die sich abzeichnende Krise der neoliberalen Kräfte einerseits und der nationalistischen Gegenkräfte andererseits.
Wohlstands- oder Souveränitätsverlust
Das jetzige Gezerre um den Brexit zeigt, dass die nationalistischen Kräfte der Austritts-Befürworter*innen politisch in der Lage sind, die sehr heterogenen Kräfte der EU-Gegner zu einem knappen Sieg in einer Volksabstimmung zu bündeln. Sie sind jedoch vollständig unfähig, ihren Erfolg bei dem Referendum mit einer parlamentarischen Mehrheit für eine zukunftsfähige Politik praktisch zu untersetzen.
Das Vereinigte Königreich steht heute in Brüssel als Bittsteller und muss entgegen aller Vorhersagen und Selbstbekundungen an der Wahl zum Europäischen Parlament am 23. Mai teilnehmen. In England wird traditionell am Donnerstag gewählt, weil am Freitag die Lohntüte ausgegeben wurde, die vor der Einführung des bargeldlosen Transfers den Weg zum Tresen oftmals nicht überlebt hat. Die Sorgen vor dem finanziellen und wirtschaftlichen Absturz als Folge des Brexit-Katers scheinen innenpolitisch schwerer zu wiegen als der befürchtete weitere Abbau nationalistischer politischer Souveränität auf dem Weg zu einer »ever closer Union«.
Auf dem Europäischen Rat am 10. April wurde der Brexit in einer flexiblen Linie bis zum 31. Oktober verschoben. Es heißt in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rats: „Diese Verlängerung sollte nur so lange wie nötig dauern und keinesfalls über den 31. Oktober 2019 hinausgehen. Wenn beide Parteien das Austrittsabkommen vor diesem Termin ratifizieren, erfolgt der Austritt am ersten Tag des folgenden Monats.“ Hintergrund hierfür ist, dass die neue Europäische Kommission am 1. November ihre Arbeit aufnimmt. Sollte aber bis dahin eventuell vielleicht unter irgendwelchen Umständen der Brexit doch noch nicht vollzogen sein, dürfte die neue Forderung der EU an das Vereinigte Königreich darin bestehen, einen Kommissar dorthin zu entsenden und konstruktiv an den weiteren Tagungen des Rates teilzunehmen.
Die offene Frage für den jetzt Fahrt aufnehmenden EU-weiten Wahlkampf heißt, wie sich diese Situation auf das Wahlergebnis und die neue Zusammensetzung des Europäischen Parlaments auswirkt. Die Linke hat allen Grund, mutiger in die Kämpfe der nächsten sechs Wochen zu ziehen.
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